Am 10.11.2016 ist § 184i StGB in Kraft getreten. In seiner Entscheidung vom 13.03.2018 (4 StR 570/17) hat der BGH nunmehr ausführlich zum Tatbestand der sexuellen Belästigung nach § 184i Abs. 1 StGB Stellung genommen und festgestellt, dass eine Berührung in sexuell bestimmter Weise u.a. dann zu bejahen ist, wenn sie einen Sexualbezug bereits objektiv, also allein gemessen an dem äußeren Erscheinungsbild, erkennen lässt. Ausserdem können auch ambivalente Berührungen, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Insgesamt ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt wobei auch zu berücksichtigen ist, ob der Täter von sexuellen Absichten geleitet war.
Im Einzelnen:
[…] 1. Gemäß § 184i Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.
a) Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der körperlichen Berührung „in sexuell bestimmter Weise“ im Sinne von § 184i Abs. 1 StGB – diese Vorschrift ist durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I, S. 2460) eingeführt worden – hat sich der Bundesgerichtshof bislang nicht geäußert (zum Verhältnis der Vorschrift zu § 184h StGB vgl. BGH, Urteile vom 26. April 2017 – 2 StR 574/16 und 2 StR 580/16, StV 2018, 238 ff.). Im Schrifttum werden insoweit unterschiedliche Auslegungsansätze vertreten.
aa) Teile der Literatur bestimmen den Begriff „in sexuell bestimmter Weise“ anhand objektiver Umstände und verlangen, dass sich der Sexualbezug aus der Berührung als solcher ergeben müsse – diese müsse nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eine sexuelle Konnotation aufweisen (vgl. MüKo-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 184i Rn. 8; ders., NJW 2016, 3553, 3557; SK-StGB/Noltenius, 9. Aufl., § 184i Rn. 6; Hörnle, NStZ 2017, 13, 20; Hoven/Weigend, JZ 2017, 182, 189; in diese Richtung auch Krug/Weber, ArbR 2018, 59, 60). Zur Bestimmung des Sexualbezugs werden als Kriterien genannt die sozio-kulturell bestimmte Bedeutung der berührten Körperstelle (Renzikowski, aaO) sowie der Umstand, dass für den in Rede stehenden Körperkontakt typischerweise das Bestehen einer intimen Beziehung vorausgesetzt werde (Hörnle, aaO; Noltenius, aaO).
bb) Nach anderer – weiter gehender – Auffassung soll das Vorliegen einer Berührung „in sexuell bestimmter Weise“ anhand der Auslegungskriterien zu bestimmen sein, welche die Rechtsprechung zum Begriff der sexuellen Handlung nach § 184h Nr. 1 StGB entwickelt hat (Fischer, StGB, 65. Aufl., § 184i Rn. 4 bis 5a; in diese Richtung auch BeckOK-StGB/Ziegler, Stand: 1. Februar 2018, § 184i Rn. 4 und 5); demnach könne eine Berührung sowohl objektiv – nach dem äußeren Erscheinungsbild – als auch subjektiv – nach den Umständen des Einzelfalls – sexuell bestimmt sein, wobei es allerdings nicht ausreiche, dass die Handlung allein nach der subjektiven Vorstellung des Täters sexuellen Charakter habe (Fischer, aaO).
b) Der Senat folgt der letztgenannten Ansicht. Mit Blick auf § 184h Nr. 1 StGB sprechen für diese Auslegung insbesondere systematische Erwägungen. Zudem wird sie durch den Wortlaut sowie Sinn und Zweck der neuen Strafvorschrift gestützt.
aa) Für eine Maßgeblichkeit der zum Begriff der sexuellen Handlung (§ 184h Nr. 1 StGB) entwickelten objektiven und subjektiven Kriterien spricht zunächst der weitgefasste Wortlaut des § 184i Abs. 1 StGB. Dieser verlangt lediglich, dass die belästigende Berührung überhaupt einen Sexualbezug aufweist („in sexuell bestimmter Weise“), schränkt aber die hierfür maßgeblichen Umstände in keiner Weise ein. Es kommt hinzu, dass beide Vorschriften – unmittelbar aufeinanderfolgend – im 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches geregelt sind und einheitlich dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dienen.
bb) Weiter spricht für die Übertragung der zu § 184h Nr. 1 StGB entwickelten Grundsätze auf den Straftatbestand der sexuellen Belästigung das Anliegen des Gesetzgebers, mit § 184i StGB solche Handlungen zu pönalisieren, die mangels Erreichen der Erheblichkeitsgrenze zwar keine sexuellen Handlungen im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB darstellen, aber gleichwohl sexuell belästigend wirken (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 30). Der Gesetzgeber sah sich also maßgeblich durch die Erheblichkeitsgrenze des § 184h Nr. 1 StGB veranlasst, den Tatbestand der sexuellen Belästigung einzuführen, um auch weniger gravierende Handlungsformen strafrechtlich zu erfassen (ebenso BGH, Urteile vom 26. April 2017 – 2 StR 574/16 und 2 StR 580/16, aaO). Ausgehend von diesem Anliegen ist es jedoch folgerichtig, den – von der Erheblichkeitsfrage zu trennenden – Sexualbezug der Berührung so zu bestimmen wie bei der sexuellen Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB, zumal der Gesetzgeber diesbezüglich keinen ergänzenden Regelungsbedarf sah.
cc) Einer solchen Auslegung steht nicht die weitere Gesetzesbegründung zu § 184i Abs. 1 StGB entgegen, wonach eine Berührung in sexuell bestimmter Weise erfolge, wenn sie sexuell motiviert sei; dies liege nahe, wenn der Täter das Opfer an den Geschlechtsorganen berühre oder Handlungen vornehme, die typischerweise eine sexuelle Intimität zwischen den Beteiligten voraussetze (BT-Drucks. 18/9097, S. 30).
Danach wäre der Sexualbezug einer Berührung grundsätzlich anhand der subjektiven Tatseite zu bestimmen und müsste stets mit einer sexuellen Motivation des Täters einhergehen; die äußere Handlung könnte lediglich als Beweisanzeichen für eine entsprechende Motivation herangezogen werden (vgl. zu einem entsprechenden Verständnis der Gesetzesbegründung Hörnle, NStZ 2017, 13, 20 Fn. 83). Eine solche maßgeblich mit der Tätermotivation verknüpfte Auslegung stünde jedoch in Widerspruch zu Sinn und Zweck des § 184i StGB. Schutzgut dieser Vorschrift ist das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 30; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, § 184i Rn. 1; NK-StGB/Frommel, 5. Aufl., § 184i Rn. 2; SK-StGB/Noltenius, aaO, § 184i Rn. 2). Verlangte man für die Strafbarkeit aber stets eine sexuelle Tätermotivation, würde dies den Tatbestand der sexuellen Belästigung in erheblichem Maße einschränken, da gerade bei den von § 184i StGB ins Auge gefassten Berührungen (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 29 f.: u.a. flüchtiger Griff in den Schritt, „Begrapschen des Gesäßes“) häufig keine eigentliche sexuelle Motivation des Täters – insbesondere in Form eines angestrebten Lustgewinns – feststellbar sein wird. Vielmehr werden solche Berührungen oftmals aus anderen Gründen erfolgen, etwa um das Gegenüber zu belästigen, zu demütigen oder durch Distanzlosigkeit zu provozieren. An der Beeinträchtigung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung ändert sich hierdurch aber nichts.
Dementsprechend steht es nach ständiger Rechtsprechung bei Verhaltensweisen, die bereits nach ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen, der Annahme einer sexuellen Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB nicht entgegen, dass der Täter nicht von sexuellen Absichten geleitet ist, sondern aus Wut, Sadismus, Scherz oder zur Demütigung seines Opfers handelt (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2014 – 5 StR 380/14, NStZ 2015, 33, 35; vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, NStZ-RR 2008, 339, 340; vom 11. Mai 1993 – 1 StR 896/92, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6; vom 9. November 1982 – 1 StR 672/82, NStZ 1983, 167; vom 24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; MüKo-StGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184h Rn. 7 mwN). Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des Senats auch für die Auslegung von § 184i Abs. 1 StGB, soweit es sich um eine bereits nach den äußeren Umständen sexualbezogene Berührung handelt. Der teilweise in eine andere Richtung weisenden Gesetzesbegründung ist keine bewusste Abkehr von den vorgenannten Grundsätzen zu entnehmen. Der Gesetzgeber hatte Fallgestaltungen äußerlich eindeutig sexualbezogener Körperkontakte bei fehlender sexueller Motivation offenbar lediglich nicht im Blick.
dd) Auch eine rein objektive Auslegung, nach der sich der Sexualbezug allein aus dem äußeren Erscheinungsbild der Berührung als solcher ergeben müsse (vgl. MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, § 184i Rn. 8; Hörnle, NStZ 2017, 13, 20; ähnlich SK-StGB/Noltenius, aaO, § 184i Rn. 6 und Hoven/Weigend, JZ 2017, 182, 189), würde den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift verfehlen. Gerade im Bereich von Körperkontakten unterhalb der Erheblichkeitsgrenze des § 184h Nr. 1 StGB sind zahlreiche Formen äußerlich ambivalenter Berührungen denkbar, die aber bei Kenntnis aller Umstände, unter Berücksichtigung des gesamten Handlungsrahmens und nach ihrem sozialen Sinngehalt in einem eindeutigen sexuellen Kontext erscheinen. Hierbei können insbesondere sexuelle Absichten des Täters (etwa gezieltes Herandrängen an eine andere Person in öffentlichen Verkehrsmitteln, um sich hieran zu erregen – vgl. hierzu Fischer, aaO, § 184i Rn. 5) oder flankierende Äußerungen (vgl. BGH, Urteile vom 6. Februar 2002 – 1 StR 506/01, NStZ 2002, 431, 432; vom 22. Mai 1996 – 5 StR 153/96, StV 1997, 524 – jeweils zu § 184c Nr. 1 aF) von Bedeutung sein.
c) Eine Berührung in sexuell bestimmter Weise ist demnach zu bejahen, wenn sie einen Sexualbezug bereits objektiv, also allein gemessen an dem äußeren Erscheinungsbild, erkennen lässt. Darüber hinaus können auch ambivalente Berührungen, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Dabei ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt; hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob der Täter von sexuellen Absichten geleitet war. Insofern gilt im Rahmen von § 184i Abs. 1 StGB nichts anderes als bei der Bestimmung des Sexualbezugs einer Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB (vgl. hierzu die st. Rspr.; BGH, Urteile vom 8. Dezember 2016 – 4 StR 389/16 Rn. 7; vom 21. September 2016 – 2 StR 558/15, NStZ 2017, 528; vom 10. März 2016 – 3 StR 437/15, BGHSt 61, 173, 176; vom 6. Februar 2002 – 1 StR 506/01, NStZ 2002, 431, 432; Beschlüsse vom 6. Juni 2017 – 2 StR 452/16, StV 2018, 231; vom 19. August 2015 – 5 StR 275/15, StraFo 2015, 471).
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