- Die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 FeV ist nur dann anlassbezogen und verhältnismäßig, wenn sich Untersuchung und Gutachten auf die Fragen beschränken, die im einzelnen Fall zur Aufklärung der Zweifel der Verwaltungsbehörde an der Eignung des Betroffenen beantwortet werden müssen.
- Bestehen ausschließlich Hinweise auf einen gelegentlichen Konsum von Cannabis, ist die Frage, ob der Betroffene künftig ein Kfz unter Einfluss von Betäubungsmitteln, anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen oder deren Nachwirkungen führen wird, nicht anlassbezogen und damit unverhältnismäßig (wie VG Aachen, GB vom 27.07.2020, 3 K 411/20).
Diese Leitsätze hat das VG Darmstadt zu seiner Entscheidung 25.02.2021 (2 L 154/21.DA) aufgestellt und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Fahrerlaubnisentziehung wiederhergestellt.
Die Entscheidungsgründe im Volltext:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom Y gegen den Bescheid des Antragsgegners vom Z wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, insbesondere statthaft, weil der Antragsgegner die sofortige Vollziehung seines Bescheids vom Z nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ausdrücklich angeordnet hat.
Der Antrag ist auch begründet.
Einem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO ist stattzugeben, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, da ein öffentliches Interesse an der Vollziehung rechtswidriger Verwaltungsakte nicht besteht. Der Antrag ist abzulehnen, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist und ein besonderes öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung besteht, diese also eilbedürftig ist. Lässt sich weder das eine noch das andere bei summarischer Prüfung feststellen, so hängt der Erfolg des Antrags davon ab, ob das öffentliche Interesse bzw. das Interesse eines oder einer Beteiligten an der sofortigen Vollziehung oder das entgegenstehende private Interesse des Antragstellers oder der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs überwiegt.
Im vorliegenden Fall ergibt die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische Überprüfung der Verfügung des Antragsgegners vom Z, dass diese offensichtlich rechtwidrig ergangen ist.
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 und 3, § 11 Abs. 8 und § 14 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn berechtigte Zweifel an der Fahreignung im Hinblick auf Betäubungsmittel aufgetreten sind und der Betreffende der Aufforderung, diese Zweifel durch Vorlage eines ärztlichen Gutachtens bzw. einer medizinisch-psychologischen Untersuchung auszuräumen, nicht nachgekommen ist.
Der Schluss auf die Nichteignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen nach Maßgabe des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist allerdings nur dann zulässig, wenn die ergangene Gutachtensanordnung in jeder Hinsicht (formell und materiell) rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Dies ist vorliegend indessen nicht der Fall.
Die entsprechende Anordnung ist nur dann anlassbezogen und verhältnismäßig, wenn sich Untersuchung und Gutachten auf die Fragen beschränken, die im einzelnen Fall zur Aufklärung der Zweifel der Verwaltungsbehörde an der Eignung des Betroffenen beantwortet werden müssen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass einerseits das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter schützt und andererseits jeder Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen muss, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit auf gesetzlicher Grundlage unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes getroffen werden. Dies hat zur Folge, dass dem Verhältnismäßigkeitsgebot im Rahmen des § 11 Abs. 8 FeV besondere Bedeutung zukommt (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 17.08.2007, 11 CS 07.25, Juris, Rdnr. 10 m. w. N.). In der vorgenannten Entscheidung wird hierzu ausgeführt, bereits aus dem Wortlaut von § 11 Abs. 6 S. 1 FeV sei zu folgern, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei der Anforderung eines ärztlichen bzw. medizinisch- psychologischen Gutachtens unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles (Hervorhebung d. d. Ger.) festlegen müsse, welche konkreten Fragen im Hinblick auf die Fahreignung des jeweils Betroffenen zu klären seien.
Vorliegend rügt der Antragsteller zu Recht, dass der in der Fragestellung des Antragsgegners vom X zum Ausdruck kommende Untersuchungsumfang in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Einzelfalles nicht gerechtfertigt ist. Zwar begegnet die erste Fragestellung in der Gutachtensanordnung vom X, ob der Antragsteller trotz der Hinweise auf gelegentlichen Cannabiskonsum sowie der bekannten Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug der Gruppe F (Fahrerlaubnisklasse B) sicher führen könne, insoweit keinen Bedenken, weil der Antragsteller ausweislich der beigezogenen Behördenakte am W ein Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss geführt hatte und die nachfolgend angeordnete Blutuntersuchung aufgrund der Konzentration des rauschunwirksamen Stoffwechselproduktes THC-Carbonsäure den Schluss auf eine wiederholte Aufnahme von Cannabisprodukten zuließ.
Die zweite Fragestellung der Gutachtensanordnung vom X ist indessen zu weit gefasst. Sie lautet: „Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass er (der Antragsteller, Anm. d. Ger.) auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Betäubungsmitteln, anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen oder deren Nachwirkungen führen wird (Fähigkeit zum Trennen von Konsum- und Verkehrsteilnahme)?“
Diese Fragestellung betrifft nicht nur ein Führen eines Kraftfahrzeugs unter Einfluss von Cannabis, für die hier – wie oben ausgeführt – ein hinreichender tatsächlicher Anlass bestand, sondern auch ein Führen eines Kraftfahrzeugs unter Einfluss eines anderen Betäubungsmittels oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen. Diese Fragestellung ist insoweit nicht anlassbezogen und damit unverhältnismäßig, denn sie lässt sich weder auf einen hinreichenden tatsächlichen und in der Anordnung genannten Anlass zurückführen noch ist sie zur Beurteilung der Fahreignung erforderlich, weil bereits der Konsum eines Betäubungsmittels – außer Cannabis – die Fahreignung (im Regelfall) entfallen lässt, ohne dass es auf ein fehlendes Trennen von Konsum- und Verkehrsteilnahme ankäme (vgl. 9.1 der Anlage 4 zur FeV; ebenso: VG Aachen, Gerichtsbescheid vom 27.07.2020, 3 K 411/20, juris, unter Verweis auf OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 04.06.2020, 16 B 672/20, n.v.). In Anbetracht des insoweit eindeutigen Wortlauts der zweiten Frage vermag das Gericht diese auch nicht dahingehend auszulegen, dass es sich bei dieser allein um eine Erläuterung bzw. Konkretisierung der ersten Frage und damit ausschließlich auf einen künftigen Cannabiskonsum bezieht. Insgesamt ist damit der Beibringungsanordnung wegen der zu weit gefassten zweiten Frage nicht zweifelsfrei zu entnehmen, welche Problematik letztlich geklärt werden soll.
Die zu weite (zweite) Fragstellung führt zur Rechtswidrigkeit der Gutachtensanordnung insgesamt. In einer solchen Konstellation kann dem Adressaten nicht zugemutet werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen und dem Gutachter verständlich zu machen, dass entgegen dem behördlichen Gutachtensauftrag nur bestimmte Teile der Fragestellungen zulässigerweise zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden dürfen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 04.06.2020, a.a.O.; Bauer in: Hentschel/König/Bauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 11 FeV Rdnr. 42 m. w. N.).
Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass auch nach der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in Bezug auf Cannabis eine entsprechende Beschränkung der Fragestellung auf dieses bestimmte Betäubungsmittel gefordert wird, wenn keine Anhaltspunkte für den Konsum anderer Betäubungsmittel vorliegen (vgl. Beschl. v. 30.11.2016, 2 B 2587/16, n.v.).
Da sich die Gutachtensanordnung vom X demnach als rechtswidrig erweist, konnte auch die Entziehungsverfügung vom Z nicht auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.06.2005, 3 C 25/04, juris). Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom Y war daher sowohl hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis als auch hinsichtlich der Einziehung des Führerscheins nach § 47 Abs. 1 FeV wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. § 6 Abs. 3 S. 1 FeV und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung im gerichtlichen Eilverfahrens geht das Gericht von der Hälfte des Wertes aus, der in einem Klageverfahren in Ansatz zu bringen wäre.