Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs in dem Verfahren 1 StR 78/06 vom 6. April 2006 liegt ein Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB nur vor, wenn der Tatbestand im Abschnitt „Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit“ des Besonderen Teils des StGB enthalten ist.
Für die weiter in § 66b Abs. 1 StGB genannten Verbrechen gegen
– das Leben
– die persönliche Freiheit
– die sexuelle Selbstbestimmung
gilt dies entsprechend.
Das Gericht führt in seiner Entscheidung aus:
Zwar ist § 306a Abs. 2 StGB ein (auch) gegen Leib und Leben gerichtetes Verbrechen. Gegen die körperliche Unversehrtheit gerichtete Verbrechen i. S. d. § 66b Abs. 1 StGB sind jedoch nur solche, die im 17. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB – „Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit“ – aufgeführt sind (so im Ergebnis auch Tröndle/Fischer aaO § 66b Rdn. 9). § 306a StGB ist demgegenüber Teil des 28. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB – „Gemeingefährli-che Straftaten“ -. § 223 StGB, der hier zugleich erfüllt ist, ist zwar ein Delikt gegen die körperliche Unversehrtheit, aber kein Verbrechen.
a) Die Gesetzesmaterialien zu § 66b StGB ergeben allerdings nicht deutlich, ob mit der dort erfolgten Nennung von Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit sowie die sexuelle Selbst-bestimmung nur auf die entsprechenden Abschnitte des Besonderen Teils des StGB (Nrn. 16, 17, 18 und 13) Bezug genommen ist, oder ob das Vorliegen der genannten formalen Voraussetzungen des § 66b StGB nach anderen Regeln zu prüfen ist.
Der Generalbundesanwalt hat in seinem Terminsantrag vom 27. Februar 2006 in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt:
„Die Materialien des Gesetzgebers sind hierzu nicht eindeutig.
Während der Regierungsentwurf durch eine Verweisung auf alle in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Straftaten auch noch alle Verbrechen erfassen wollte, wurde nach einer Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses der Anwendungsbereich auf die vorliegende Gesetzesfassung beschränkt (Bundes-tagsdrucksache 15/3346 S. 7) …. in § 66b Abs. 1 StGB (sollten) die Anlasstaten präzisiert beziehungsweise enger gefasst werden (Bundestagsdrucksache 15/3346 S. 15 bzw. S. 16), ohne dass dies allerdings näher erläutert wird.“
Auch wenn diese „in letzter Sekunde“ (so Ullenbruch in MüKomm StGB § 66b Rdn. 60) vorgenommene Änderung der ursprünglich vorgesehenen Gesetzesfassung und die hierbei entstandenen Gesetzesmaterialien auf die aufgezeigte hier entscheidungserhebliche Frage keine eindeutige Antwort geben, deutet doch die offensichtlich gewollte Einschränkung der formalen Vorausset-zungen einer nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung darauf hin, dass nach dem Willen des Gesetzgebers eher wenige Delikte und nicht mög-lichst viele Delikte als Grundlage für eine solche Anordnung in Betracht kom-men sollen. Dem entspricht im Übrigen auch, dass nach dem Willen des Ge-setzgebers die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung auf seltene Einzelfälle beschränkt sein soll (vgl. BTDrucks. 15/2887 S. 10, 12, 13; BVerfGE 109,190, 236; BGH NStZ 2005, 561, 562).
b) Entscheidend für die Annahme, dass die in Rede stehende Frage nicht rechtsgutbezogen sondern formal nach dem Standort der Strafbestimmung innerhalb des StGB zu beantworten ist, ist aber Folgendes:
§ 66b Abs. 1 StGB nennt neben den Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung als mögliche Grundlage für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung auch noch „Verbrechen nach den §§ 250, 251, auch in Ver-bindung mit den §§ 252, 255“.
Raub ist in jeder Erscheinungsform ein Verbrechen, das eine Nötigung enthält (vgl. nur Tröndle/Fischer aaO § 249 Rdn. 1a) und sich daher – auch – gegen die persönliche Freiheit richtet (vgl. BGH NJW 1968, 1292, 1293; w. N. b. Tröndle/Fischer aaO). Bei rechtsgutbezogener Betrachtungsweise wäre da-her Raub in allen Formen, also auch in der Grundform des § 249 StGB, von den in § 66b StGB genannten Verbrechen gegen die persönliche Freiheit umfasst. Auf der Grundlage dieser Annahme wäre es unklar und verwirrend, dass in § 66b Abs. 1 StGB zusätzlich noch einige, aber nicht alle Formen des Raubes aufgeführt sind. Diese Unklarheiten bestehen dagegen bei der aufgezeigten formalen Betrachtungsweise nicht. Raubdelikte sind in den bisher aufgezeigten Abschnitten des Besonderen Teils nicht enthalten, sondern im 20. Abschnitt „Raub und Erpressung“. Die Überschrift dieses Abschnitts nennt der Gesetzge-ber in § 66b Abs. 1 StGB nicht, sondern zählt stattdessen diejenigen der darin enthaltenen Verbrechen auf, die nach seinem Willen Grundlage für nachträgli-che Sicherungsverwahrung sein können. Bei dieser Betrachtungsweise können jedenfalls hinsichtlich des Gegenstandes der Anlassverurteilung Unklarheiten und Zweifel nicht entstehen.
c) Erhärtet wird dieses Ergebnis im Übrigen auch dadurch, dass die Ver-wendung von Abschnittsüberschriften im Gesetz dem Gesetzgeber auch sonst nicht fremd ist. Lediglich beispielhaft verweist der Senat insoweit auf § 98a Abs.1 Satz 1 Nr. 3 und 4 StPO. Die in § 98a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO genannten gemeingefährlichen Straftaten sind solche des mit der entsprechenden Ü-berschrift versehenen 28. Abschnitts (früher: 27. Abschnitt, vgl. hierzu Trönd-le/Fischer aaO vor § 298 Rdn.1) des Besonderen Teils des StGB. Soweit in § 98a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO auf Straftaten „gegen Leib oder Leben, die sexu-elle Selbstbestimmung oder die persönliche Freiheit“ Bezug genommen ist, handelt es sich um einen Verweis auf die entsprechenden Abschnitte 13 sowie 16 bis 18 des Besonderen Teils des StGB. Dies ergibt sich aus den Gesetzes-materialien (vgl. BTDrucks. 12/2720, S. 38, 40, wo der 27. Abschnitt jeweils ausdrücklich erwähnt ist) und wird auch in der Fachliteratur so verstanden (vgl. etwa Hilger, NStZ 1992, 457, 459 f.
Diese Gesichtspunkte gelten hier, wo es um die sehr schwer wiegende nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung geht, in gleicher Weise.
Nach alledem ist die Strafkammer hier zu Recht davon ausgegangen, dass es schon an der entsprechenden Anlassverurteilung für eine nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung fehlt.
Die Entscheidung kann im Volltext hier abgerufen werden.