In Verfahren mit großem Aktenumfang ist dem Gefangenen u.U. auch bereits vor Abschluss des Ermittlngsverfahren digitale Akteneinsicht in der Justizvollzugsanstalt zu gewähren.
Dies kann z.B. in der Form erfolgen, dass die Staatsanwaltschaft der JVA eine CD-ROM mit der Akte im PDF-Format übersendet und die JVA dem Beschuldigten ein Notebook mit der aufgespielten elektronischen Akte in einem besonderen Haftraum zur Verfügung stellt.
Dies hat das LG Nürnberg-Fürth in seinem Beschluss v. 07.11.2023 – 13 Qs 56/23 festgestellt.
Die Entscheidung im Volltext:
Tenor
- Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Erlangen vom 22.09.2023 aufgehoben.
- Dem Beschuldigten wird Akteneinsicht in der Form gewährt, dass die Staatsanwaltschaft der JVA N. eine verschlüsselte CD-ROM mit der Akte im pdf-Format übersendet und die JVA N. dem Beschuldigten sodann einen Laptop mit der aufgespielten elektronischen Akte in einem besonderen Haftraum zur Verfügung stellt.
Die weitere Regelung zur Leihe des Laptops richtet sich nach der Anstaltsordnung. - Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft N.-F. führt gegen den Beschuldigten ein Verfahren wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 210 Fällen. Demnach soll der Beschuldigte zwischen dem 16.11.2020 und dem 24.02.2023 über die Internetplattform E… unter Vortäuschung seiner Lieferwilligkeit verschiedene Gegenstände an gutgläubige Kunden verkauft und den jeweiligen Kaufpreis vereinnahmt haben, ohne die entsprechende Ware zu übergeben. Die Staatsanwaltschaft geht derzeit von einem Gesamtschaden von rund 117.000 Euro aus.
Den Antrag des Beschuldigten, ihm die Ermittlungsakte in digitaler Form sowie einen Laptop zur Verfügung zu stellen, lehnte das Amtsgericht Erlangen mit Beschluss vom 22.09.2023 ab.
Gegen diese Entscheidung legte der Verteidiger des Beschuldigten mit Schriftsatz vom 17.10.2023 Beschwerde ein und begründete diese mit dem Umfang der Ermittlungsakten von derzeit 11.603 Seiten, was in Papierform etwa 29 Leitz-Ordnern entspräche. Zur Erörterung des Verfahrens sei Aktenkenntnis seines Mandanten erforderlich.
Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 17.10.2023 nicht ab. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Zur Begründung führt sie aus, dass dem Wahlverteidiger nach Akteneinsicht im April 2023 erst im August 2023 ergänzende Akteneinsicht gewährt worden sei, so dass er Gelegenheit gehabt habe, das Verfahren mit seinem Mandanten zu besprechen. Eine weitere ergänzende Akteneinsicht an die Verteidigung werde vorbereitet. Daher bestehe bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens keine Notwendigkeit einer digitalen Akteneinsicht für den Beschuldigten.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im Ergebnis begründet und führt zu der Gewährung von Akteneinsicht für den Beschuldigten nach Maßgabe der Ziff. 2 des Tenors.
Grundsätzlich sieht § 147 Abs. 1 u. 4 StPO ein Akteneinsichtsrecht von verteidigten Beschuldigten nur für den Verteidiger vor. In welcher Form der Verteidiger den Akteninhalt seinem Mandanten bekannt macht, steht in seinem freien Ermessen. So kann er den Akteninhalt mit seinem Mandanten im Gespräch erörtern oder diesem die Akte in Kopie zum Selbststudium bzw. zur Vorbereitung auf Besprechungen überlassen.
Inzwischen ist jedoch anerkannt, dass in Strafverfahren mit besonders großem Aktenumfang, Angeklagten zur effektiven Vorbereitung auf die Hauptverhandlung Akteneinsicht auch in Form von elektronischen Dokumenten, die auf einem Laptop eingesehen werden können, zu gewähren ist (KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, § 119 Rn 50 mwN; weitergehend Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl. 2023, § 119 Rn 29, welcher bereits unter Verweis auf weitere Rechtsprechung die Benutzung eines Laptops gestatten will, wenn es zur ordnungsgemäßen Verteidigung erforderlich ist).
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Akteneinsicht in dieser Form sind vorliegend erfüllt. Die Akten sind bereits jetzt besonders umfangreich, die Überlassung einer vollständigen Kopie der Akte durch den Verteidiger in Papierform ist ersichtlich unpraktikabel.
Soweit in der angegriffenen Entscheidung auf die Rechtsprechung des Landgerichts Frankfurt a. M. (Beschluss vom 17.11.2017, Az. 5/24 KLs 7920 Js 208925/16 (10/17)) abgestellt wird, wonach entsprechende Akteneinsicht nur nach Abschluss der Ermittlungen zur Vorbereitung auf die Hauptverhandlung zu gewähren sei, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Das Landgericht Frankfurt a.M. hat bei seiner Entscheidung dahin differenziert, ob dem dortigen Angeschuldigten ein eigener Laptop zur Verfügung zu stellen war oder ob er auf den Computerraum der JVA mit eingeschränkten Öffnungszeiten verwiesen werden konnte, und hat letzteres wohl im Hinblick auf die nahende Hauptverhandlung verneint. Damit wird die Überlassung der digitalen Akte nicht grundsätzlich nicht Frage gestellt, sondern nur die Modalitäten, wie der Angeschuldigte in diese Einsicht nehmen kann.
Nach Auskunft der JVA N. in deren Stellungnahme vom 02.10.2023 bestehen die technischen Möglichkeiten, dem Beschuldigten einen Laptop in einem besonderen Haftraum zur Einsichtnahme in die Akte zur Verfügung zu stellen, weshalb sich die vom Landgericht Frankfurt a.M. erörterte Frage vorliegend nicht stellt.
Maßgeblich bleibt daher als Besonderheit des Verfahrens dessen bereits jetzt erheblicher Umfang, der für eine gründliche Einarbeitung geraume Zeit erfordert. Der Verweis auf eine mündliche Information durch den Verteidiger ist ebenso wie die Überlassung der Akte in Papierform, wie bereits ausgeführt, ineffektiv und aufgrund der vorhandenen technischen Möglichkeiten im Ergebnis unverhältnismäßig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 07.11.2023 – 13 Qs 56/23