In seinem Urteil vom 27. Juni 2006 in dem Verfahren 1 StR 113/06 hat der BGH sich insbesondere mit der objektiven und subjektiven Tatseite eines heimtückisch begangenen Mordes befasst.
In den Urteilsgründen führt das Gericht aus:
Die rechtliche Bewertung des Landgerichts zur objektiven und subjektiven Tatseite eines heimtückisch begangenen Mordes ist nicht frei von Rechts-fehlern. Insoweit ist der festgestellte Sachverhalt auch nicht erschöpfend gewürdigt.
1. Die objektiven Voraussetzungen der Heimtücke können selbst dann erfüllt sein, wenn der Unterarmwürgegriff von hinten nicht mit Tötungsvorsatz erfolgte und der Angeklagte einen solchen Vorsatz erst fasste, als er nach dem Messer griff. Dies schließt die Arglosigkeit des Opfers nicht von vornherein aus.
Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.N.). Das Op-fer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig ent-gegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmit-telbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff ir-gendwie zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15). Maßge-bend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Dabei macht es aber keinen Unterschied, ob der überraschende Angriff von vornherein mit Tötungsvorsatz geführt wird oder ob der ursprüngliche Handlungswille derart schnell in den Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, zu dem der Täter mit Tötungsvorsatz angreift. In beiden Fällen bleibt dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3).
Jedenfalls letztere Konstellation ist hier gegeben. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt der Angeklagte das Opfer 20 bis 30 Sekunden im Unterarmwürgegriff, den er von hinten ausgeführt hatte, bevor er sich ent-schloss, es zu töten. Das Opfer hatte in dieser Lage nach Erkennen der Gefahr keine Möglichkeit mehr, sich gegen den Tötungsangriff zur Wehr zu setzen, was die fehlenden Abwehrverletzungen bestätigen. Dann war das Opfer – an den aufgezeigten Maßstäben gemessen – aber auch zu diesem Zeitpunkt infol-ge Arglosigkeit wehrlos.
2. Die Verneinung eines Ausnutzungsbewusstseins des Angeklagten ent-behrt einer tragfähigen Grundlage.
a) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose La-ge des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535).
Es ist nicht erforderlich, wie das Landgericht meint, dass der Täter die Angriffsmöglichkeit von hinten durch eigenes Veranlassen gezielt herbeiführt. Wenn der Angeklagte hier seinem Opfer von hinten den Unterarm um den Hals legte und es würgte, so liegt die Annahme nahe, dass er sich des überraschen-den Angriffs bewusst war. Die Ausführungen, mit denen das Landgericht ein Ausnutzungsbewusstsein verneint, sind in der rechtlichen Bewertung in zweifacher Hinsicht fehlerhaft. Einerseits bedarf es des bewussten Herbeiführens ei-nes Hinterhaltes nicht, andererseits liegt – wie oben ausgeführt – eine rechtsfeh-lerhafte Bewertung der Arglosigkeit zugrunde.
b) Soweit das Landgericht ausführt, auch die hochgradige Alkoholisie-rung des Angeklagten spreche gegen eine Bewusstseinsbildung bezüglich der Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers, fehlt dafür jedwede Be-gründung. Im Hinblick auf die Ausführungen zur nicht ausschließbar verminderten Schuldfähigkeit infolge Alkoholisierung versteht es sich nicht von selbst, dass der Angeklagte den Überraschungseffekt nicht in sein Bewusstsein aufge-nommen habe.
Die Alkoholisierung beeinträchtigte danach die Fähigkeit des Angeklag-ten zur Unrechtseinsicht nicht. Eine erhebliche Verminderung der Steuerungs-fähigkeit wurde nicht positiv festgestellt, sondern konnte nicht ausgeschlossen werden. Nach Auffassung des Sachverständigen K. , der aufgrund der Blut-probe eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,29 o/oo für die Tatzeit von 7.00 Uhr und eine solche von 3,09 o/oo für die Tatzeit von 8.00 Uhr errechnete, zeigte der Angeklagte angesichts dieser Alkoholisierung erstaunlich wenige Ausfallerscheinungen, was darauf schließen lasse, dass er doch nicht ganz tro-cken gewesen sei. Bei der Berechnung der Tatzeit-BAK hat der Sachverständi-ge den festgestellten Nachtrunk außer Acht gelassen. Unter Berücksichtigung des Nachtrunks bewege sich die erhebliche Verminderung der Steuerungsfä-higkeit – so der Sachverständige – dann „am unteren Ende der Nicht-ausschließbarkeit“. Das Landgericht hätte bei einer erschöpfenden Würdigung des Sachverhalts diese Ausführungen in seine Erwägungen einbeziehen und sich damit auseinandersetzen müssen.
3. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können daher bestehen bleiben. Insoweit ist das Urteil nicht angegriffen.
4. Die Überprüfung des Urteils zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
5. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass der Begriff der „Erheblich-keit“ in § 21 StGB ein Rechtsbegriff ist. Über das Vorliegen seiner Vorausset-zungen ist nach ständiger Rechtsprechung vom Gericht in eigener Verantwor-tung zu entscheiden und nicht vom Sachverständigen. Dabei fließen normative Überlegungen ein (BGHSt 8, 113, 124; 43, 66, 77). Der Tatrichter hat Gelegenheit, auch darüber neu zu befinden.
Die Entscheidung kann im Volltext hier abgerufen werden.