Das Landgericht Freiburg (2 KLs 270 Js 21058/12 AK 24/14) hat einen Staatsanwalt wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt in sechs Fällen, davon in einem Fall in drei tateinheitlichen Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt.
Der Angeklagte war seit 1993 bei der Staatsanwaltschaft F. als auf Lebenszeit verbeamteter Staatsanwalt tätig.
Zusammengefasst räumte der Angeklagte in der Hauptverhandlung ein, er habe in den gegenständlichen Strafverfahren jeweils Verfügungen getroffen, die zum Austrag der jeweiligen Verfahren aus dem staatsanwaltschaftlichen Register führten, jedoch die Verfahren nicht sachgerecht abschlossen, und habe die jeweiligen Verfahren anschließend nicht mehr zum ordnungsgemäßen Abschluss durch eine Anklageerhebung gebracht. Zweck der Verfügungen sei lediglich der Austrag des Verfahrens aus dem Register gewesen, da es ihm nicht gelungen sei, die Verfahren innerhalb von 12 Monaten zu Ende zu bringen. Er habe die Erstellung eines Rückstandsberichts vermeiden wollen, der nach diesem Zeitablauf fällig geworden wäre, obwohl im einen oder anderen Fall durchaus nachvollziehbare Gründe für den unterbliebenen Verfahrensabschluss vorgelegen hätten. Er habe Zeit gewinnen wollen, um die Verfahren dann, wenn es ihm möglich werden würde, zum Abschluss zu bringen. Hinter der Art des von ihm zum Schein getroffenen Verfahrensabschlusses – Anklage oder Einstellungsverfügung – habe keine Systematik gestanden. Es sei ihm allein um den Verfahrensaustrag gegangen. Die Geschäftsstelle hätte ohne eine schriftliche Verfügung keinen Registeraustrag vorgenommen. In den ihm vorgeworfenen Fällen sei es zu Fehlern gekommen, er habe jedoch nicht die Absicht gehabt jemanden zu bevor- oder benachteiligen. In jedem einzelnen Fall habe er die Erwartung gehabt, das Verfahren noch zum Abschluss zu bringen. Ab dem Zeitpunkt der von ihm vorgenommenen Scheinverfügungen habe er die Akten, die sich bei in seinem Dienstzimmer befanden, immer präsent gehabt.
Der Angeklagte verwies im Zusammenhang mit den gegenständlichen Ermittlungsverfahren auf seine deutliche Arbeitsüberlastung, die einer zeitnahen Erledigung der Verfahren entgegenstanden sei. Er habe im Zeitraum von 2005 bis Mitte 2012 insgesamt 8626 Strafverfahren bearbeitet. Zusätzlich habe er ab dem Jahr 2002 Aufgaben des damaligen Abteilungsleiters mitübernommen, nämlich die Betreuung des Assessors und dessen Gegenzeichnung (von 2002 bis 2009); daneben habe er Studentenpraktika und die Plädierkurse organisiert. Im Übrigen sei er nur mit 0,7 Arbeitskraftanteilen (AKA) bei der Staatsanwaltschaft F. beschäftigt gewesen, was jedenfalls bis Ende 2007 nicht berücksichtigt worden sei. In den beiden T-Verfahren sei die erste – sehr umfangreiche – Anklage am 27.12.2006 fertig gestellt worden. Am 18.02.2008 habe er die umfangreiche Anklage für das zweite Verfahren fertig gestellt. Zwar hätte er selbst nicht auf seine Überlastung hingewiesen, es hätte jedoch jeder von seiner starken Belastung gewusst. Infolge der Entlastung 2008, als der Amtsgerichtsbezirk M. aus seiner Zuständigkeit genommen wurde, habe er die Möglichkeit gehabt, die Rückstände aufzuarbeiten. Im Jahr 2009 sei eine hohe Belastung entstanden, da er im Frühjahr einige zeitintensive Mordverfahren in Vertretung des damaligen Abteilungsleiters bearbeitet habe. In diesem Jahr habe er über einen langen Zeitraum den Abteilungsleiter vertreten müssen. Hinzugekommen seien die Hauptverhandlung im T-Verfahren und mehrtägige Verhandlungen in Kapitaldelikten. Bis Ende April des Jahres 2010 seien die Eingangszahlen nicht mehr so hoch gewesen, er habe auch keine ganz besonderen Verfahren wie 2009 bearbeitet. In diesem Jahr habe er allerdings vier Wochen die Vertretung eines Kollegen übernommen. Bei dessen Dezernat habe er 12 oder 13 berichtspflichtige Verfahren abgebaut. Er habe auch sonst rückständige Verfahren abgebaut, um das Dezernat auf ein normales Niveau zu fahren. Er habe deshalb auch Akten über das Wochenende mit nach Hause genommen und bearbeitet. Es habe dann eine Mordserie begonnen die äußerst zeitintensive verdeckte Ermittlungen bis in den Herbst 2010 nach sich gezogen habe. Ab Dezember 2010 habe er in seiner Freizeit eine überaus zeitintensive Tätigkeit als Fußballtrainer der ersten und zweiten Mannschaft ausgeübt und habe nach Feierabend oder am Wochenende nicht mehr zu Hause gearbeitet. Der Bestand offener Verfahren sei zum Ende des Jahres 2010 auf 194 angestiegen. 38 Verfahren aus dem Jahr 2009 habe er abgearbeitet. Zum Ende des Jahres 2011 habe er den offenen Bestand trotz Vertretungen des Abteilungsleiters und neuer Kapitaldelikte auf 78 Verfahren abbauen können. Zu Beginn des Jahres 2012 sei der Schwerpunkt seiner Arbeit auf drei Kapitaldelikten gelegen, die im Vorjahr eingegangen seien.
Zusammengefasst war das Gericht nach einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise davon überzeugt, dass der Angeklagte seit 2008 weder objektiv noch subjektiv in einer Weise belastet war, die ihm die Erledigung der sechs in Rede stehenden Ermittlungsverfahren unmöglich gemacht hätte. Zwar war die Arbeitsbelastung phasenweise – wie im Frühjahr 2009 wegen aktueller Kapitalverfahren oder während der Krankheitsvertretung eines Kollegen im Jahr 2010 – durchaus hoch, ohne dass dies für einen Staatsanwalt jedoch besonders ungewöhnlich gewesen wäre. Spätestens ab Mitte 2009 lässt sich insgesamt jedoch eine allenfalls durchschnittliche Belastung feststellen, der der Angeklagte subjektiv durchweg gerecht wurde. Die täglichen Arbeits- und Bürozeiten wiesen keine Besonderheiten auf, zumal der Angeklagte – wie er selbst eingeräumt hat – in seiner Freizeit ab Ende 2010 einer sehr zeitaufwändigen Tätigkeit als (…)trainer nachging.
Rechtlicher Ausgangspunkt war bei allen Taten die Frage, zu welchem Zeitpunkt das Unterlassen der nach § 170 Abs. 1 StPO gebotenen Anklageerhebung und die hierdurch unter Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot entstandene Verfahrensverzögerung derart gravierend waren, dass der Rechtsverstoß den Vorwurf der Rechtsbeugung – also eine bewusste und schwerwiegende Entfernung von Recht und Gesetz – begründete. Insoweit war zu berücksichtigen, dass es in zeitlicher Hinsicht keine starren, gesetzlich vorgegebenen Fristen für den Abschluss von Ermittlungsverfahren gibt. Die staatsanwaltschaftsinternen Berichtspflichten dienen lediglich der Kontrolle und Überprüfung, ob der Beschleunigungsgrundsatz eingehalten wurde, besagen jedoch für sich genommen nichts über den gebotenen Zeitpunkt der Verfahrensabschlusses aus. Es war daher unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles abzustellen. Dabei war einerseits die Arbeitsbelastung des Angeklagten zu berücksichtigen, andererseits mussten die Gewichtigkeit des Strafvorwurfs, Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens (vgl. auch § 198 Abs. 1 S. 3 GVG), das Alter des Strafverfahrens, die Belastung des Strafverfahrens für den Beschuldigten und dessen Prozessverhalten und sonstige Dringlichkeitskriterien, wie es insbesondere bei Haftsachen, auch wenn ein Haftbefehl außer Vollzug gesetzt ist, der Fall ist, beachtet werden.
Die jeweiligen Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Angeklagten beruhen wesentlich auf seiner eigenen Einlassung. Der Angeklagte wusste, dass er als Staatsanwalt gem. § 170 Abs. 1 StPO unter Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes zur Anklageerhebung verpflichtet ist. Wie der Angeklagte zugegeben hat, bezweckte er mit seiner Vorgehensweise, dass die gegenständlichen Strafverfahren aus dem staatsanwaltschaftlichen Register ausgetragen wurden und dadurch keiner behördlichen Kontrolle mehr unterlagen. In der Folge der Austräge wusste der Angeklagte, dass die Verfahren unbearbeitet blieben und durch keine Maßnahmen mehr gefördert wurden. Dabei waren ihm die länger werdenden Zeiträume der unbearbeitet bleibenden Verfahren stets bewusst. Auch war ihm bekannt, dass sich zwei Haftsachen mit lediglich außer Vollzug gesetzten Haftbefehlen unter den Verfahren befanden. Die Verfahrensakten befanden sich kontinuierlich in seinem Dienstzimmer und sind ihm, wie er selbst eingeräumt hat, nie aus dem Blick geraten. Zudem wurde das dauerhafte und wissentliche Unterlassen der gebotenen Wiederaufnahme der Ermittlungen bzw. der Anklageerhebung durch den Eingang von Sachstandsanfragen erneut in sein Bewusstsein gerufen. Auch wenn ihm dies an sich unerwünscht war, so wusste der Angeklagte und sah als sichere Folge seines Unterlassens voraus, dass die Nichtbearbeitung der Verfahren und die unterbliebene Strafverfolgung mit zunehmendem Zeitablauf zwangsläufig zu einer Besserstellung der Beschuldigten führten. Aufgrund der dem Angeklagten stets erinnerlichen ganz erheblichen Dauer der Nichtbearbeitung war ihm spätestens zu den von der Kammer jeweils angesetzten Zeitpunkten bewusst, dass die massive Verzögerung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr zu rechtfertigen war und einen schwerwiegenden Rechtsverstoß darstellte. Als langjährigem und erfahrenem Staatsanwalt, der mit dem Führen von Rückstandslisten, dem Erstellen entsprechender Rückstandsberichte und der Bearbeitung von Haftsachen vertraut war, war dem Angeklagten zudem bekannt, dass das Legalitätsprinzip (§§ 152 Abs. 2, 170 Abs. 1 StPO), der Beschleunigungsgrundsatz und insbesondere die besondere Beschleunigungspflicht bei Haftsachen zu den ganz elementaren Verfahrensnormen im Ermittlungs- und Strafverfahren.
Zu den Voraussetzungen der Rechtsbeugung, § 339 StGB fürht das Gericht folgendes u.a. aus:
[…] Der Angeklagte war als Staatsanwalt tauglicher Täter einer Rechtsbeugung (vgl. BGH, Urteil vom 06.11.2007 – 1 StR 394/07, juris; OLG Karlsruhe, NJW 2004, 1469; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 339 Rn. 6 m.w.N.; Heine/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 339 Rn. 2; Mückenberger in Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar StGB, 2. Aufl., § 339 Rn. 11; Hilgendorf in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 339 Rn. 20 unter Ablehnung von OLG Bremen, NStZ 1986,120).Voraussetzung des objektiven Tatbestands der Rechtsbeugung ist neben der Verletzung bindender Rechtsnormen ein Angriff des Täters gegen grundlegende Prinzipien des Rechts, gegen die Rechtsordnung als ganze oder gegen elementare Normen als Ausdruck rechtsstaatlicher Rechtspflege (st. Rspr. seit BGHSt 32, 357; 38, 381). Der Tatbestand erfasst nicht jede unrichtige oder unvertretbare Rechtsverletzung, sondern setzt einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege voraus. Der Täter muss sich bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernen (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 27.01.2016 – 5 StR 328/15, juris).
Auch ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz durch pflichtwidrige Verfahrensverzögerung kann den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen, insbesondere dann, wenn die Bedeutung des Beschleunigungsgebotes besonders hervorgehoben ist, wie beispielsweise in Haftsachen aufgrund Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 GG und Art. 5 Abs. 3, Abs. 4 MRK (vgl. BGHSt 47, 105, Rn. 11; OLG Karlsruhe, a.a.O.). Darüber hinaus gilt dies aber auch bei „Weglegen“ von Akten, unvertretbarem und sachwidrigen Hinausschieben gebotener Entscheidungen und sonstigem Unterlassen (Fischer, a.a.O., § 339 Rn. 24).Die Beachtung des Beschleunigungsgebotes und die aus § 170 Abs. 1 StPO sich ergebende Pflicht zur Anklageerhebung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zählen zu den ganz elementaren Grundsätzen im Strafverfahren. Vorliegend verstieß der Angeklagte spätestens zu den von der Kammer jeweils festgestellten Zeitpunkten in schwerwiegender Weise gegen grundlegende Verfahrensvorschriften. Dieser Verfahrensverstoß wirkte sich auch jeweils zugunsten der Beschuldigten aus.
Der subjektive Tatbestand der Rechtsbeugung setzt mindestens bedingten Vorsatz hinsichtlich eines Verstoßes gegen geltendes Recht sowie einer Bevorzugung oder Benachteiligung einer Partei voraus. Das darüber hinausgehende subjektive Element einer bewussten Abkehr von Recht und Gesetz bezieht sich auf die Schwere des Rechtsverstoßes, insoweit ist Bedeutungskenntnis im Sinn direkten Vorsatzes hinsichtlich der Schwere des Rechtsverstoßes erforderlich (BGHSt 59, 144). Diese Voraussetzungen waren nach den getroffenen Feststellung in allen sechs Fällen erfüllt. Insbesondere stand nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht die Absicht hatte, die Beschuldigten gezielt zu begünstigen. Denn in allen Fällen erkannte der Angeklagte, dass die Besserstellung der Beschuldigten eine zwingende Folge der langen Nichtbearbeitung der Verfahren war, was für die Tatbestandserfüllung ausreichend ist.
Zu den Voraussetzungen der Strafvereitelung im Amt gem. §§ 258 Abs. 1, 258a Abs. 1 StGB führt das Gericht in seiner Entscheidung folgendes aus:
Die Sperrwirkung der Rechtsbeugung steht einer Verurteilung wegen Strafvereitelung im Amt nicht entgegen, da die Voraussetzungen des § 339 StGB erfüllt sind.
Objektiv liegt eine gänzliche Vereitelung i.S.d. § 258 Abs. 1 StPO nicht nur bei endgültiger – tatsächlicher oder rechtlicher – Verhinderung der Aburteilung der Beschuldigten vor, sondern auch bei einer Verzögerung auf geraume Zeit (BGH, Urteil vom 21.12.1994 – 2 StR 455/94, juris; Fischer, a.a.O., § 258 Rn. 8 m.w.N.). Vorliegend konnte in den Fällen Nr. 1 und 2 (L., M.) aufgrund der eingetretenen Verjährung keine Strafverfolgung mehr erfolgen. In den übrigen Fällen Nr. 2 (F.) und Nr. 3 bis 6 wurde die Strafverfolgung jeweils um derart lange Zeiträume verzögert, dass jeweils das Merkmal einer Verzögerung auf geraume Zeit – unabhängig davon, ob man insoweit bereits einen an § 229 StPO orientierten Zeitraum von drei Wochen ausreichen lässt (vgl. Fischer, a.a.O., § 258 Rn. 8; Stree/Hecker in Schönke/Schröder, a.a.O., § 258 Rn. 14) – erfüllt ist.
Der Angeklagte handelte in allen Fällen auch vorsätzlich. Subjektiv ist bei der Strafvereitelung nach § 258 Abs. 1 StGB in Bezug auf die Tathandlung und den Vereitelungserfolg direkter Vorsatz („absichtlich oder wissentlich“) erforderlich, wohingegen bedingter Vorsatz hinsichtlich der Kenntnis der Vortat ausreicht (BGH, NStZ 2015, 702). Der Täter muss also eine Besserstellung des Vortäters zumindest als sichere Folge seines Handelns voraussehen (Fischer, a.a.O., § 258 Rn. 33 m.w.N.). Ein konkretisiertes Interesse des Täters am Taterfolg ist dagegen nicht erforderlich, so dass eine Strafvereitelung im Amt auch begehen kann, wer ohne Interesse an der Sache in der Absicht handelt, einen lästigen Fall loszuwerden oder eigene dienstliche Versäumnisse zu verschleiern (Fischer, a.a.O., § 258a Rn. 6).
Der gebildeten Gesamtstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten hat das Gericht gemäß § 56 Abs. 1 und 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt und dies maßgeblich damit begründet, dass der Angeklagte nicht vorbestraft war, die ihm vorgeworfene Aktenführung vollumfänglich eingeräumt hat und als zwingende Folge der Verurteilung aus dem Beamtenverhältnis ausscheiden wird. Somit sei die Prognose günstig und es hätten zugleich besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorgelegen.
VI.