In seiner Entscheidung vom 31.05.2022 hat das LG Frankfurt (5/06 Qs 20/22) die Entscheidung des Amtsgerichts, mit dem die Pflichtverteidigerbestellung ablehnt wurde aufgehoben und dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger bestellt.
In dem betreffenden Verfahrens hat die Polizei zunächst gegen den Beschuldigten wegen Raubes ermittelt. Mit der Verteidigerbestellung wurde die Bestellung eines Pflichtverteidigers beantragt, was jedoch von Polizei und später auch der Staatsanwaltschaft nicht beachtet wurde.
Die Staatsanwaltschaft beantragte sodann den Erlass eines Strafbefehls wegen Körperverletzung, der antragsgemäss vom Amtsgericht erlassen wurde.
Mit dem EInspruch wurde auf den bis dahin nicht beschiedenen Antrag auf Pflcihtverteidigerbestllung hingewiesen und um Entscheidung gebeten. Das Amtsgericht wies den Antrag zurück, da „nur“ eine einfache Körperverletzung angeklagt sei und das Vorliegen der Voraussetzung einer Pflichtverteidigerbestellung nach den §§ 140 ff StPO nicht gegeben sie.
Auf die sofortige Beschwerde hat das Landgericht diese Entscheidung aufgehoben und dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger bestellt.
Die Entscheidung im Volltext:
Landgericht Frankfurt am Main
Beschluss
In der Strafsache
D
geboren am in F ,
wohnhaft
deutscher Staatsangehörige,
Verteidiger Rechtsanwalt Joachim Sokolowski, Offenbacher Str. 99, 63263
Neu-Isenburg
wegen Körperverletzung
hier:
Sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts
Frankfurt am Main vom 08.03.2022
wird auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 08.03.2022 aufgehoben.
Dem Angeklagten wird Herr Rechtsanwalt Joachim Sokolowski, Offenbacher Str. 99, 63263 Neu-Isenburg, als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die in diesem entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Gründe:
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde vom 24.03.2022, eingegangen beim Amtsgericht am gleichen Tag, gegen den Beschluss
des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 08.03.2022, mit dem sein Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers und Beiordnung seines Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger vom 06.08.2022 zurückgewiesen worden ist.
Die nach § 142 Abs. 7 S. 1 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig. Insbesondere wurde die einwöchige Frist eingehalten. Zwar gelangte das Empfangsbekenntnis des Wahlverteidigers nicht zurück, aber aus dessen Schriftsatz vom 24.03.2022 ergibt sich, dass ihm der angegriffene Beschluss am 22.03.2022 zugestellt worden ist.
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Bestellung eines Pflichtverteidigers und Beiordnung seines Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger hat Erfolg. Es lag ein offensichtlicher Fall der notwendigen Verteidigung in einem anhängigen Strafverfahren nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO vor, als sein Wahlverteidiger seine Beiordnung als Pflichtverteidiger am 06.08.2021 beantragte.
Nachdem sonstige Ausschlussgründe für die Bestellung nicht ersichtlich sind, war er zum Pflichtverteidiger zu bestellen.
Zwar lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Amtsgericht die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung nicht mehr vor, weil zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Körperverletzung im Raum stand. Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidungserheblich an.
Gem. § 141 Abs. 1 S.1 StPO wird in Fällen der notwendigen Verteidigung dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt.
Ein entsprechender Antrag wurde durch seinen Wahlverteidiger mit Schriftsatz vom 06.08.2022 gestellt. Indiesem beantragte er, einen Pflichtverteidigers zu bestellen und selbst als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden.
Damit hat er jedenfalls konkludent zum Ausdruck gebracht, sein Wahlmandat in diesem Fall niederzulegen (vgl. OLG Jena, Beschluss v. 26.11.2008, Az: 1 Ws 497/08, NJW 2009, 1430), was dem Fehlen eines Verteidigers gleichsteht (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 141, Rn. 4).
Zu diesem Zeitpunkt wurde gegen den Angeklagten wegen Raubes ermittelt und in dessen Beschuldigtenvernehmung vom 03.08.2021 wurde ihm dieser Tatvorwurf eröffnet. Dass der Beschwerdeführer trotz der Belehrung, einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers stellen zu können, von diesem Recht zu diesem Zeitpunkt keinen Gebrauch machte, beinhaltet keinen fortdauernden Verzicht hierauf.
Die Pflicht zur unverzüglichen Bestellung wurde jedenfalls deswegen nicht eingehalten, weil die Polizeibehörde den Antrag der Staatsanwaltschaft entgegen § 142 Abs. 1 S. 2 StPO nicht zur Stellungnahme und zur Vorlage der Entscheidung an das Amtsgericht übersandte.
Tatsächlich wurde über den Antrag erst nach Abschluss der Ermittlungen und nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls entschieden.
Aus diesem gesetzeswidrigen Ablauf darf dem Beschwerdeführer jedoch kein Nachteil erwachsen, auch wenn nunmehr die Voraussetzungen einer notwendigen Pflichtverteidigung nicht mehr vorliegen (ebenso: OLG Bamberg, Beschluss vom 29.04.2021, Az.: 1 Ws 260/21, abrufbar unter: BeckRS 2021, 14711, Rn. 14; OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.11.2020, Az.: Ws 962/20, abrufbar unter: BeckRS 2020, 35193, Rn. 17). Unbeachtlich ist dabei, dass der Antrag des Verteidigers des Beschwerdeführers dem Amtsgericht sogar zur Entscheidung nicht vorlag, weil dieser bis zu diesem Zeitpunkt nicht Akteninhalt geworden ist. Ausweislich des nunmehr nachgereichten Faxübersendungsprotokolls ging der Schriftsatz vom 06.08.2021 jedoch am gleichen Tag bei der ermittelnden Polizeibehörde ein. Die fehlende Vorlage des Antrags resultiert mithin aus der Sphäre der Ermittlungsbehörden, sodass der Angeklagte auch deswegen nicht benachteiligt werden darf.
Vor dem geschilderten Hintergrund war auf die sofortige Beschwerde der Beschluss des Amtsgerichts vom 08.03.2022 aufzuheben und dem Beschwerdeführer der von ihm benannten Verteidiger beizuordnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung.
LG Frankfurt, 5/6 Qs 20/22