In seiner Entscheidung vom 12.3.2019 hat sich das VG Karlsruhe (2 K 8203/18) eingehend mit den Voraussetzungen der Speicherung sowie der Löschung personenbezogender Daten aus dem polizeilichen Datensystem Polas befasst.
Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 PolG-BW kann der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten, die ihm im Rahmen von Ermittlungsverfahren bekannt geworden sind, speichern, soweit und solange dies zur Gefahrenabwehr oder vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. Wenn die Voraussetzungen für die Speicherung nach dieser Bestimmung entfallen sind, sind die Daten gemäß § 38 Abs. 1 Satz 4 PolG zu löschen. Dieser Löschungspflicht korrespondiert ein unmittelbarer Löschungsanspruch, der als lex specialis dem in § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PolG-BW normierten allgemeinen Löschungsanspruch vorgeht.
§ 38 Abs. 2 Satz 1 PolG-BW erlaubt bei fortbestehendem Anfangsverdacht zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten eine Datenspeicherung für die Dauer von bis zu zwei Jahren. § 38 Abs. 3 Satz 1 PolG-BW ermächtigt zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zu einer über die Dauer von zwei Jahren hinausgehenden Speicherung, fordert hierfür aber – über den Straftatenverdacht hinaus – eine auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhende Wiederholungsprognose. Tatsächliche Anhaltspunkte können sich dabei gemäß § 38 Abs. 3 Satz 2 PolG-BW insbesondere aus Art, Ausführung und Schwere der Tat ergeben.
Wesentlich für die Beurteilung der Kriminalitätsprognose sind die Straftaten, die der Betreffende wirklich oder möglicherweise begangen hat, der Zeitraum, währenddessen er kriminalpolizeilich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, und die sonstige Beurteilung der Persönlichkeit in kriminalistischer Hinsicht. Entscheidend ist, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist – Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend – fördern könnten.
Bei der Beurteilung der nach § 38 Abs. 3 PolG erforderlichen Wiederholungsgefahr steht dem Polizeivollzugsdienst – anders als bei den Voraussetzungen für die erstmalige Speicherung, die gerichtlich vollumfänglich nachprüfbar sind – ein Prognosespielraum zu. Die Gerichte überprüfen daher nur, ob eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Beurteilungsspielraum besteht und ob die Behörde von einem zutreffend sowie vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, Verfahrensvorschriften eingehalten hat, den gesetzlichen Rahmen zutreffend erkannt hat, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und keine sachfremden Erwägungen angestellt hat.
Aufgrund des präventiven Charakters der Maßnahme kann bei der Prognose, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, der in einem Ermittlungsverfahren erhobene Tatverdacht sogar dann berücksichtigt werden, wenn dieses Ermittlungsverfahren nach den §§ 153 ff. oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Denn die Einschätzung der Strafverfolgungsbehörde, das Ermittlungsergebnis gebe nicht genügenden Anlass zur Anklage, steht einer Bewertung des zugrundeliegenden „Anfangsverdachts“ sowie des Ermittlungsergebnisses nach den Maßstäben kriminalistischer Erfahrung nicht entgegen, wenn trotz Einstellung des Strafverfahrens ein „Restverdacht“ verbleibt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Leitsatz
[…]Der Löschungsanspruch, der unmittelbar der Löschungspflicht nach § 38 Abs. 1 Satz 4 PolG korrespondiert, geht als lex specialis dem in § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PolG normierten allgemeinen – keine weitergehenden Anforderungen stellenden – Löschungsanspruch vor.Der Kläger begehrt die Löschung personenbezogener Daten, die der Polizeivollzugsdienst in dem polizeilichen Auskunftssystem POLAS-BW gespeichert hat.
Der Kläger beantragte bei dem Beklagten – mit E-Mail vom 06.11.2017 sowie Schreiben vom 29.01.2018 –, seine anlässlich einer erkennungsdienstlichen Behandlung gespeicherten Daten zu löschen. Er sei zu Unrecht und ohne gerichtlichen Beschluss erkennungsdienstlich behandelt worden. Die von ihm begangene Körperverletzung rechtfertige die polizeilichen Maßnahmen nicht und der Vorwurf der Morddrohung habe sich im Nachhinein als falsch erwiesen.
Das Polizeipräsidium Karlsruhe lehnte den Löschungsantrag mit Bescheid vom 23.02.2018 ab. Es führte zur Begründung aus, der Kläger sei am 07.05.2015 bei der Polizei in Pforzheim auf der Grundlage von § 81 b Var. 2 StPO erkennungsdienstlich behandelt worden, weil er eine Körperverletzung begangen habe. Nachdem das Ermittlungsverfahren von dem Polizeirevier Pforzheim-Süd, Polizeiposten B., bearbeitet worden sei, habe anschließend das Amtsgericht Pforzheim den Kläger am 09.10.2015 zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 10 EUR verurteilt. Die erkennungsdienstliche Maßnahme habe dem Zweck gedient, Vergleichsmaterial für die Aufklärung zukünftiger Straftaten zu gewinnen. Da seit 2015 weitere speicherrelevante Straftaten hinzugekommen seien, ende die Speicherfrist am 11.03.2027.
Auf den vom Kläger erhobenen Widerspruch änderte das Polizeipräsidium den Ablehnungsbescheid mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2018 insoweit ab, als das Ende der Speicherfrist auf den 31.12.2020 festgesetzt wurde. Im Übrigen wies das Polizeipräsidium den Widerspruch zurück. Da der Kläger bereits vor dem Anlassdelikt seit 2010 regelmäßig einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, sei nach kriminalistischer Erfahrung zu erwarten gewesen, dass er auch künftig wieder in den Fokus strafrechtlicher Ermittlungen geraten werde. Zwischenzeitlich habe sich diese Einschätzung bestätigt. Die Speicherfrist betrage zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten fünf Jahre (§ 38 Abs. 4 PolG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 DVO PolG), in Fällen geringer Bedeutung drei Jahre. Das letzte mit fünfjähriger Speicherfrist erfasste Strafverfahren sei die Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten am 16.12.2015 gewesen. Die Frist beginne daher mit Ablauf des 31.12.2015 und ende mit Ablauf des 31.12.2020.
Der Kläger hat am 23.08.2018 Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben. Er wiederholt und vertieft im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Der Widerspruchsbescheid enthalte unwahre Tatsachen. Er sei damals aufgrund einer „erlogenen Morddrohgeschichte“ erkennungsdienstlich behandelt worden. Die von ihm tatsächlich begangene Körperverletzung rechtfertige die polizeilichen Maßnahmen nicht. Da seine Vorstrafen sehr weit zurücklägen, dürfe er nicht als Schwerverbrecher behandelt werden.
Der Kläger beantragt – sachdienlich ausgelegt (§ 86 Abs. 3, § 88 VwGO) –, den Bescheid des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 23.02.2018 in Gestalt dessen Widerspruchsbescheids vom 20.08.2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die anlässlich der erkennungsdienstlichen Behandlung vom 07.05.2015 erhobenen und gespeicherten Daten zu löschen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen in dem angegriffenen Widerspruchsbescheid und betont, die in Rede stehende erkennungsdienstliche Behandlung sei aufgrund einer am 24.03.2015 tatsächlich begangenen gefährlichen Körperverletzung erfolgt.
Die Akte des Polizeipräsidiums Karlsruhe sowie die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Außenstelle Pforzheim – (6 Bände), des Amtsgerichts Pforzheim (2 Bände) und des Polizeireviers Pforzheim-Süd (7 Bände) liegen dem Gericht vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf sie sowie auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).Die Klage hat keinen Erfolg.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO statthaft. Denn die vom Kläger begehrte Löschung der von ihm im polizeilichen Auskunftssystem POLAS-BW gespeicherten Daten setzt einen Verwaltungsakt voraus, mit dem über diesen Anspruch entschieden wird (BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – 6 C 5.09 -, BVerwGE 137, 113; Urt. v. 09.02.1967 – 1 C 57.66 -, BVerwGE 26, 169; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 26.05.1992 – 1 S 668/90 -, DVBl 1992, 1309).II.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Löschung seiner personenbezogenen Daten. Der ablehnende Bescheid des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 23.02.2018 in Gestalt dessen Widerspruchsbescheids vom 20.08.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Rechtliche Grundlage des Löschungsbegehrens ist § 38 Abs. 1 Satz 4 PolG i.V.m. §§ 481 Abs. 1, 484 Abs. 4 StPO.
Die landesrechtliche Bestimmung in § 38 PolG ist die einfach-rechtliche Ausprägung des verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. hierzu grundlegend BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u.a. -, BVerfGE 65, 1). Dieses Grundrecht gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, selbst über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichkeitsbezogenen Daten zu bestimmen. Der Schutz des grundrechtlich verbürgten Abwehrrechts erstreckt sich auch auf die Erhebung von Daten und deren anschließende Speicherung (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 – 1 C 57.66 -, BVerwGE 26, 169).
Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 PolG kann der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten, die ihm im Rahmen von Ermittlungsverfahren bekannt geworden sind, speichern, soweit und solange dies zur Gefahrenabwehr oder vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. Wenn die Voraussetzungen für die Speicherung nach dieser Bestimmung entfallen sind, sind die Daten gemäß § 38 Abs. 1 Satz 4 PolG zu löschen. Dieser Löschungspflicht korrespondiert ein unmittelbarer Löschungsanspruch, der als lex specialis dem in § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PolG normierten allgemeinen – keine weitergehenden Anforderungen stellenden – Löschungsanspruch vorgeht (im Ergebnis ebenso: VG Sigmaringen, Urt. v. 24.02.2005 – 8 K 1829/03 -, juris; Belz/Mussmann/Kahlert/Sander, PolG für Baden-Württemberg, 8. Aufl. 2015, § 38 Rn. 20; offen gelassen: VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27.09.1999 – 1 S 1781/98 -, NVwZ-RR 2000, 287; VG Freiburg, Urt. v. 12.01.2016 – 4 K 1915/15 -, juris; Urt. v. 14.06.2018 – 8 K 2352/16 -, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 27.10.2011 – 2 K 256/11 -, juris; Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, 7. Aufl. 2017, § 6 Rn. 210).
2. Die Voraussetzungen für eine Löschung der personenbezogenen Daten des Klägers sind nicht erfüllt. Die Erhebung der Daten war bei Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung am 07.05.2015 rechtmäßig (a). Die Speicherung der Daten ist auch weiterhin gerechtfertigt (b).
a) Die personenbezogenen Daten wurden beim Kläger im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der erkennungsdienstlichen Behandlung am 07.05.2015 rechtmäßig auf der Grundlage des § 81 b Var. 2 StPO erhoben.
Nach § 81 b StPO dürfen, soweit es für die Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden. Soweit § 81 b StPO in seiner 2. Variante auch Maßnahmen für erkennungsdienstliche Zwecke gestattet, handelt es sich um in die Strafprozessordnung aufgenommenes materielles Polizeirecht (BVerwG, Urt. v. 25.10.1960 – 1 C 63.59 -, BVerwGE 11, 181).
aa) Voraussetzung der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung ist, dass ein Straf- oder Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen schwebt; nur während der Anhängigkeit eines solchen Verfahrens kann die Anordnung ergehen (BVerwG, Urt. v. 03.11.1955 – 1 C 176.53 -, BVerwGE 2, 302). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Denn der Kläger war zum damaligen Zeitpunkt Beschuldigter in einem Strafverfahren wegen einer am 24.03.2015 begangenen gefährlichen Körperverletzung, aufgrund derer ihn das Amtsgericht Pforzheim mit rechtskräftigem Urteil vom 09.10.2015 – … – zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt hat.
bb) Ist die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81 b Var. 2. StPO gegenüber dem Beschuldigten getroffen worden, so wird ihre Rechtmäßigkeit – im Gegensatz zur Rechtmäßigkeit von Maßnahmen nach § 81 b Var. 1 StPO – nicht dadurch berührt, dass der Betroffene nach Abschluss des Strafverfahrens (hier im Oktober 2015) die Beschuldigteneigenschaft verliert (BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 – 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192).
Erkennungsdienstliche Unterlagen nach § 81 b Var. 2 StPO werden nicht für die Zwecke eines gegen den Betroffenen gerichteten oder irgendeines anderen konkreten Strafverfahrens erhoben. Ihre Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung in kriminalpolizeilichen Sammlungen dient nach ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung vielmehr – ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren – der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben, die der Kriminalpolizei hinsichtlich der Erforschung und Aufklärung von Straftaten durch § 163 StPO zugewiesen sind. Deshalb besteht kein unmittelbarer Zweckzusammenhang zwischen der Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen und den gesetzlichen Zielen der Aufnahme und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen nach § 81 b Var. 2 StPO. Dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach dieser Vorschrift nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt insofern lediglich, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung hergeleitet werden muss. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die gesetzlichen Zwecke dieser Anordnung und der durch sie vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Behandlung außerhalb des Strafverfahrens liegen, das Anlass zur Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschuldigten gibt, und dass somit der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Beendigung des Strafverfahrens – hier durch Verurteilung – die Rechtmäßigkeit der gegen den Betroffenen als Beschuldigten des inzwischen abgeschlossenen Strafverfahrens getroffenen Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung unberührt lässt (BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 – 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192).
Der Polizeivollzugsdienst durfte für die Zwecke des Erkennungsdienstes Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten nach § 81 b Var. 2 StPO auch gegen seinen Willen aufnehmen und Messungen sowie ähnliche Maßnahmen an ihm vornehmen, ohne dass es eines gerichtlichen Beschlusses bedurfte. Von der Ermächtigung gedeckt sind daher folgende vorgenommenen Maßnahmen: Zehnfingerabdruck, Handflächenabdrücke, Lichtbilder (dreiteilig sowie Ganzaufnahme) und Personenbeschreibung (Gestalt, Größe, äußere Erscheinung, Schuhgröße, Gewicht, Sprachkenntnisse und körperliche Merkmale). Da der Kläger den erkennungsdienstlichen Maßnahmen nicht zustimmen musste, kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, welche Motivation der – vom Kläger schriftlich erteilten – Zustimmung zu den polizeilichen Maßnahmen zugrunde lag.
b) Die Voraussetzungen für die Speicherung der personenbezogenen Daten sind auch nicht nachträglich entfallen. Die Datenspeicherung ist zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten auf der Grundlage des § 38 Abs. 3 Satz 1 PolG weiterhin gerechtfertigt.
§ 38 Abs. 2 Satz 1 PolG erlaubt bei fortbestehendem Anfangsverdacht zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten eine Datenspeicherung für die Dauer von bis zu zwei Jahren. § 38 Abs. 3 Satz 1 PolG ermächtigt zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zu einer über die Dauer von zwei Jahren hinausgehenden Speicherung, fordert hierfür aber – über den Straftatenverdacht hinaus – eine auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhende Wiederholungsprognose. Tatsächliche Anhaltspunkte können sich dabei gemäß § 38 Abs. 3 Satz 2 PolG insbesondere aus Art, Ausführung und Schwere der Tat ergeben.
Wesentlich für die Beurteilung der Kriminalitätsprognose sind die Straftaten, die der Betreffende wirklich oder möglicherweise begangen hat, der Zeitraum, währenddessen er kriminalpolizeilich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, und die sonstige Beurteilung der Persönlichkeit in kriminalistischer Hinsicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 – 1 C 57.66 -, BVerwGE 26, 169). Entscheidend ist, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist – Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend – fördern könnten (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 – 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192; Urt. v. 23.11.2005 – 6 C 2.05 -, DVBl 2006, 923; Beschl. v. 06.07.1988 – 1 B 61.88 -, Buchholz 306 § 81 b StPO Nr. 1; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.12.2003 – 1 S 2211/02 -, VBlBW 2004, 214; Bayerischer VGH, Beschl. v. 06.12.2016 – 10 CS 16.2069 -, juris).
Bei der Beurteilung der nach § 38 Abs. 3 PolG erforderlichen Wiederholungsgefahr steht dem Polizeivollzugsdienst – anders als bei den Voraussetzungen für die erstmalige Speicherung, die gerichtlich vollumfänglich nachprüfbar sind – ein Prognosespielraum zu (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 10.02.2015 – 1 S 554/13 -, DVBl 2015, 506). Denn die Prognose erfordert eine vorausschauende Beurteilung und wertende Erkenntnis, in die maßgeblich polizeiliches Erfahrungswissen einfließt. Die Gerichte überprüfen daher nur, ob eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Beurteilungsspielraum besteht und ob die Behörde von einem zutreffend sowie vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, Verfahrensvorschriften eingehalten hat, den gesetzlichen Rahmen zutreffend erkannt hat, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und keine sachfremden Erwägungen angestellt hat.
Nach diesem rechtlichen Maßstab ist die von dem Polizeipräsidium getroffene Wiederholungsprognose rechtlich nicht zu beanstanden und durften die am 07.05.2015 beim Kläger erhobenen Daten auch über zwei Jahre hinaus gespeichert werden. Der Beklagte durfte davon ausgehen, dass der Kläger bei künftigen noch aufzuklärenden Straftaten mit guten Gründen in den Kreis möglicher Tatverdächtiger einbezogen werden könnte. Die gegen den Kläger durchgeführten Ermittlungsverfahren bzw. Strafverfahren sowie die strukturelle Vergleichbarkeit der vorgeworfenen Taten – (gefährliche) Körperverletzungen – lassen die Prognoseentscheidung des Beklagten als gut vertretbar erscheinen.
Gegen den Kläger wurden vor der Anlasstat (24.03.2015) in den Jahren 2010 bis 2014 vier Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Körperverletzung geführt. Dass der bisherige kriminelle Lebenswandel des Klägers mit der Anlasstat nicht beendet war, belegt das 2017 gleichfalls aufgrund einer Körperverletzung geführte Ermittlungsverfahren sowie fünf weitere Ermittlungsverfahren (Tatvorwürfe insbesondere – Körperverletzungen ankündigende – Bedrohungen und Beleidigungen).
Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es für die Beurteilung des Tatverdachts nicht entscheidungserheblich darauf an, dass die Ermittlungsverfahren zumeist eingestellt wurden und – bis auf die Anlasstat sowie eine 2010 begangene Körperverletzung – nicht zu einer Verurteilung des Klägers führten. Aufgrund des präventiven Charakters der Maßnahme kann bei der Prognose, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, der in einem Ermittlungsverfahren erhobene Tatverdacht sogar dann berücksichtigt werden, wenn dieses Ermittlungsverfahren nach den §§ 153 ff. oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Denn die Einschätzung der Strafverfolgungsbehörde, das Ermittlungsergebnis gebe nicht genügenden Anlass zur Anklage, steht einer Bewertung des zugrundeliegenden „Anfangsverdachts“ sowie des Ermittlungsergebnisses nach den Maßstäben kriminalistischer Erfahrung nicht entgegen, wenn trotz Einstellung des Strafverfahrens ein „Restverdacht“ verbleibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 – 6 C 2.05 -, DVBl 2006, 923; Bayerischer VGH, Beschl. v. 06.12.2016 – 10 CS 16.2069 -, juris). Angesichts der fortbestehenden Tatvorwürfe ist der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass ein Tatverdacht gegen den Kläger jedenfalls nicht restlos ausgeräumt worden ist.
Im Übrigen folgt das Gericht der Begründung des angegriffenen Widerspruchsbescheides (§ 117 Abs. 5 VwGO).
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da der Rechtsstreit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
[…]
VG Karlsruhe Urteil vom 12.3.2019, 2 K 8203/18