- Die Entscheidung des Vorsitzenden, mit dem die Bestellung eines weiteren Verteidigers abgelehnt wird, unterliegt nur der Überprüfung auf Ermessensfehler.
- Der Umstand, dass in einem parallel geführten Verfahren ein weiterer Verteidiger bestellt wurde, ersetzt nicht die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verteidigers vorliegen.
Diese Leitsätze hat das OLG Karlsruhe zu seinem Beschluß vom 3.7.2020 (2 Ws 150/20) aufgestellt.
Die Entscheidung im Volltext:
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 29.5.2020 wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Gründe
Der Angeklagte, der von Rechtsanwalt B. als Wahlverteidiger vertreten wird, begehrt im vorliegenden Verfahren, das den Vorwurf des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zum Gegenstand hat, die Bestellung von Rechtsanwalt A. zum Verteidiger neben Rechtsanwalt B.. Dies wird maßgeblich mit der Notwendigkeit der Kontinuität der Verteidigung des Angeklagten begründet, der in einem weiteren, erstinstanzlich bereits abgeschlossenen Verfahren wegen des Vorwurfs des mehrfachen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge außer von Rechtsanwalt B. und Rechtsanwalt A. verteidigt worden war, der ihm in jenem Verfahren beigeordnet worden war.
Eine erste ablehnende Entscheidung des Strafkammervorsitzenden hat der Senat mit Beschluss vom 30.4.2020 (2 Ws 80/20) aus formalen Gründen aufgehoben. Gegen die erneute Ablehnung des Antrags auf Bestellung von Rechtsanwalt A. zum Verteidiger durch Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 29.5.2020, der dem Angeklagten am 8.6.2020 zugestellt wurde, wendet er sich mit seiner am 9.6.2020 eingelegten sofortigen Beschwerde.
Die gemäß §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 144 Abs. 2 Satz 2 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet, da die Voraussetzungen für die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO nicht vorliegen.
Zu diesen Voraussetzungen hat der Senat bereits im Beschluss vom 30.4.2020 ausgeführt:
„Danach können bis zu zwei weitere Verteidiger bestellt werden, wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist. Eine solche Erforderlichkeit kann sich zunächst aus der Person des bisherigen Verteidigers ergeben, wenn etwa dessen Teilnahme am Verfahren, insbesondere an der Hauptverhandlung, aus Gründen in seiner Person (Krankheit) nicht gesichert ist. Sie kann sich auch aus dem Umfang des Verfahrens ergeben, etwa wenn bei einer Vielzahl von Fortsetzungsterminen Ausfälle und Terminkollisionen unvermeidlich sind, wegen der Notwendigkeit der Einhaltung der Unterbrechungsfristen sowie des insbesondere in Haftsachen zu beachtenden Beschleunigungsgrundsatzes die Verhandlung aber dennoch stattfinden muss. Nicht zuletzt kann wegen der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines einzigen Verteidigers nicht ausreichen (amtliche Begründung des Gesetzentwurfs, BR-Drs. 364/19 S. 50, BT-Drs. 19/13829 S. 49 f.).
Wie sich der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs entnehmen lässt, ist die gesetzliche Regelung an die zuvor in der Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätze angelehnt, auf die deshalb ergänzend zurückgegriffen werden kann. Danach ist die Bestellung eines weiteren Verteidigers auf die Fälle beschränkt, in denen hierfür wegen des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensverlauf zu gewährleisten. Unter anderem besteht ein solches unabweisbares Bedürfnis bei einer besonderen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie dann, wenn sich die Hauptverhandlung über einen längeren Zeitraum erstreckt und zu ihrer ordnungsgemäßen Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem vorübergehenden Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder aber der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich ist, dass er auch nach Ausschöpfung aller Hilfsmittel nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden kann (OLG Karlsruhe – Senat – StraFo 2009, 517; KG, Beschlüsse vom 6.8.2018 – 4 Ws 104/18 und vom 25.4.2001 – 1 AR 422/01, jeweils juris sowie OLGSt StPO § 140 Nr. 36; OLG Jena, Beschluss vom 7.10.2011 – 1 Ws 433/11, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.2.2006 – 1 Ws 25/06, juris; OLG Schleswig SchlHA 2001, 137 jeweils m.w.N.). Dabei kommt die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers wegen der Schwierigkeit oder des Umfangs der Strafsache allein zur Ermöglichung einer wechselseitigen Vertretung der Verteidiger oder zur allgemeinen Arbeitsentlastung des bestellten Verteidigers oder des Wahlverteidigers nicht in Betracht (KG Beschluss vom 6.8.2018 a.a.O.; OLG Jena a.a.O.; OLG Hamm NStZ 2011, 235). Im Hinblick auf die erwartete Dauer der Hauptverhandlung existiert keine starre Grenze dergestalt, dass ab einer bestimmten Anzahl von Verhandlungstagen die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers in der Regel erforderlich ist. Eine solche Bestellung im Fall einer außergewöhnlich langen Hauptverhandlung beruht auf der Erfahrung, dass eine längere Dauer der Hauptverhandlung die Wahrscheinlichkeit erhöht, ein Verteidiger werde planwidrig verhindert sein, und nimmt damit die allgemeine Prozessmaxime der Verfahrensbeschleunigung sowie gegebenenfalls auch das Gebot der besonderen Beschleunigung in Haftsachen auf. Sie ist aber nur dann geboten, wenn und soweit andere Reaktionsmöglichkeiten auf die unvorhergesehene Verhinderung eines Verteidigers nicht ausreichen. Bei der Entscheidung steht dem Gerichtsvorsitzenden ein Beurteilungsspielraum bzw. ein Entscheidungsermessen zu (KG a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.), das nur dann verletzt ist, wenn konkrete Gefahren für die ordnungsgemäße Vertretung des Angeklagten oder den Ablauf der Hauptverhandlung zu besorgen sind und diesen Gefahren anders als durch die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers nicht begegnet werden kann (OLG Karlsruhe a.a.O., KG a.a.O.). Dementsprechend ist in der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich ausgeführt, dass es in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, ob dem Beschuldigten ein oder zwei weitere Verteidiger bestellt werden (BR-Drs. 364/19 S. 50, BT-Drs. 19/13829 S. 50).
Im Beschwerdeverfahren unterliegt die Entscheidung des Vorsitzenden danach abweichend von § 309 Abs. 2 StPO nur eingeschränkter Überprüfung darauf, ob die Grenzen des Beurteilungsspielraums bzw. des Ermessens eingehalten sind […].“
Daran gemessen hält die Ablehnung der Bestellung von Rechtsanwalt A. der eingeschränkten rechtlichen Prüfung stand.
Umfang oder Schwierigkeit der Sache erfordern offensichtlich nicht die Vertretung des Angeklagten durch einen zweiten Verteidiger. Gegenstand des Verfahrens ist eine einzige Tat, die den Transport einer größeren zum gewinnbringenden Verkauf bestimmten Menge Cannabis aus Spanien nach Deutschland zum Gegenstand hat. Die von der Staatsanwaltschaft für erforderlich gehaltenen Beweismittel, darunter neun Zeugen und drei Sonderbände TKÜ-Protokolle, sind in der Anklageschrift auf zwei DIN A4-Seiten aufgelistet. Im Hinblick darauf ist im Beschluss der Strafkammer vom 2.12.2019 entschieden worden, dass die Strafkammer in der Hauptverhandlung lediglich mit zwei Berufsrichtern besetzt sein wird.
Auch sind keine sonstigen Gründe gegeben, die die Bestellung eines zweiten Verteidigers zur Sicherung einer zügigen Durchführung des Verfahrens erforderlich machen. Insbesondere besteht nach der von Rechtsanwalt B. dazu zwischenzeitlich abgegebenen Erklärung kein Anhaltspunkt mehr dafür, dass dieser durch eine Interessenkollision an der Vertretung des Angeklagten gehindert sein könnte.
Der in der Beschwerdebegründung vertretenen Auffassung, die Bestellung sei zur Gewährleistung des Rechts des Angeklagten auf ein faires Verfahren geboten, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die seitens der Verteidiger für erforderlich gehaltene Kontinuität der Verteidigung ist bereits dadurch gewährleistet, dass der Angeklagte im Parallelverfahren ebenfalls durch Rechtsanwalt B. vertreten war.