Wird eine Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer gem. §§ 198 ff GVG während eines noch andauernden Ausgangsverfahrens erhoben, handelt es sich, sofern der Kläger nicht nur eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer, sondern Zahlung einer Entschädigung begehrt, um eine Teilklage. Die deshalb zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen erforderliche Feststellung einer im bisherigen Verfahrensverlauf bereits eingetretenen „irreparablen Verzögerung“ kann in der Regel entsprechend den bislang schon für die Fälle doppel-relevanter Tatsachen anerkannten Grundsätzen erst im Rahmen der Begründetheit der Klage vorgenommen werden. Erweist sich die bisherige Verzögerung bezogen auf das prospektiv zu Ende zu führende Gesamtverfahren als möglicherweise noch kompensierbar und ist damit eine unangemessene Verfahrensdauer (noch) nicht festzustellen, so ist die Klage als zurzeit unbegründet abzuweisen. Nur in Fällen, in denen eine Verzögerung evident nicht vorliegt bzw. evident noch kompensierbar ist, wäre die Klage als unzulässig abzuweisen.
Das Unterlassen der Erhebung einer rechtzeitigen Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG hat nicht zur Folge, dass für den zurückliegenden Zeitraum generell eine Entschädigung nicht beansprucht werden kann.
Art. 23 S. 2 und S. 3 ÜGRG sind dahin auszulegen, dass das Unterlassen einer unverzüglichen Erhebung der Verzögerungsrüge nach Inkrafttreten des Gesetzes am 03.12.2011 einen Entschädigungsanspruch nur wegen des Zeitraumes ausschließt, der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes liegt. Das Entschädigungsgericht kann jedoch insoweit auch ohne dahin gehenden Antrag nach § 198 Abs. 4 GVG die Feststellung treffen, dass das Verfahren unangemessen verzögert ist.
Dies Hat das OLG Frankfurt in seinem Urteil in dem Verfahren 4 EntV 3/13 festgestellt und dies u.a. wie folgt begründet:
Die gesetzlichen Regelungen über die Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren finden auf den beim Landgericht Frankfurt a.M. anhängigen Rechtsstreit des Klägers Anwendung. Nach der Übergangsvorschrift in Art. 23 Satz 1, 1. Fall ÜGRG gilt das Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren. Die Klage ist daher statthaft.
[…]
Der Zulässigkeit der Klage steht auch unter dem Gesichtspunkt einer Teilklage nicht entgegen, dass der Rechtsstreit vor dem Landgericht noch andauert.
Wird während eines noch andauernden Ausgangsverfahrens Entschädigungsklage erhoben, handelt es sich, sofern der Kläger nicht nur eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer, sondern Zahlung einer Entschädigung begehrt, um eine Teilklage (Senat, Urt. v. 08.05.2013, 4 EntV 18/12, Rn. 37, juris; Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 251).
Der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit kann zwar auch schon vor dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens verletzt sein (Senat, Urt. v. 08.05.2013, a.a.O., Rn. 36). Der Entschädigungsanspruch bemisst sich indes entsprechend § 198 Abs. 1 S. 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Dies setzt eine auf das Gesamt-verfahren bezogene Prüfung voraus. Aus diesem Grund kann grundsätzlich erst nach Abschluss des Rechtsstreits festgestellt werden, ob die Verfahrensdauer unangemessen war (vgl. ausführlich Senat, Urt. v. 30.01.2013, 4 EntV 9/12, Rn. 57, juris). Daran anknüpfend geht es um einen einheitlichen, auf das Gesamtverfahren bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss bezogenen materiellen Anspruch. Wird vor Abschluss des Verfahrens für eine schon bis dahin eingetretene Verzögerung des Verfahrens ein Entschädigungsanspruch geltend gemacht, so handelt es sich deshalb um eine Teilklage.
Die Zulässigkeit einer solchen Teilklage ist mit den Regelungen der §§ 198 ff. GVG nicht unvereinbar. Die Bestimmung des § 198 Abs. 5 GVG über den Zeitpunkt einer Klageerhebung und die Gesetzesbegründung dazu (Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 17/3802, Seite 22) zeigen, dass der Gesetzgeber davon ausging, der Entschädigungsanspruch könne auch schon vor Abschluss des Verfahrens entstehen und gerichtlich geltend gemacht werden. Allerdings darf eine Teilklage nicht die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen begründen (vgl. BGH, Urt. v. 20.01.2004, VI ZR 70/03, Rn. 18, juris). Nach den insoweit geltenden allgemeinen Grundsätzen darf eine Sachentscheidung über eine Teilklage daher nur ergehen, wenn diese Entscheidung über den Teilanspruch unabhängig von der Entscheidung ist, die über den Rest des materiellen Anspruchs noch zu erfolgen hat (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 72. Aufl., § 301 Rn. 7 m.w.N.). Eine Unabhängigkeit der Teilentscheidung in diesem Sinne setzte daher für ein Entschädigungsverfahren nach §§ 198 ff GVG voraus, dass für den zur Entscheidung stehenden Zeitraum bereits eine unangemessene Verfahrensdauer und ein endgültig eingetretener Nachteil feststeht. Auch in der Begründung zum Regierungsentwurf (BT-Drucks. 17/3802, Seite 22) wird eine Entschädigungsklage für möglich gehalten, wenn „schon vor Verfahrensabschluss eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und … daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann, obwohl das Ausgangsverfahren noch nicht beendet ist“.
Die danach zur Vermeidung (möglicherweise) widersprüchlicher Entscheidungen erforderliche Feststellung einer im bisherigen Verfahrensverlauf bereits eingetretenen „irreparablen Verzögerung“ kann ohne höheren Prüfungsaufwand nur in Ausnahmefällen im Rahmen der Zulässigkeit untersucht werden. Denn die Frage, ob überhaupt eine Verzögerung vorliegt und ob diese im weiteren Verfahren möglicherweise noch kompensiert werden kann, ist in aller Regel erst aufgrund einer umfassenden Prüfung der Begründetheit des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs unter Berücksichtigung des gesamten Verfahrens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Entschädigungsverfahren zu beantworten (vgl. Senat, Urteil vom 30.01.2013, 4 EntV 9/12, Rn. 57, juris). Damit aber würde im Zuge der notwendigen Feststellung einer im bisherigen Verfahrensverlauf bereits eingetretenen „irreparablen Verzögerung“ der zentrale inhaltliche Teil des Entschädigungsverfahrens in die Prüfung der Zulässigkeit der Klage (vor)verlegt.
Entsprechend den bislang schon für die Fälle doppel-relevanter Tatsachen anerkannten Grundsätzen ist deshalb in der Regel, die Feststellung, ob die Verzögerung eines noch andauernden Verfahren bereits „irreparabel“, also nicht mehr kompensierbar ist, erst im Rahmen der Begründetheit der Klage vorzunehmen. Erweist sich die bisherige Verzögerung bezogen auf das prospektiv zu Ende zu führende Gesamtverfahren als möglicherweise noch kompensierbar und ist damit eine unangemessene Verfahrensdauer (noch) nicht festzustellen, so ist die Klage als zurzeit unbegründet abzuweisen (so wohl auch: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.O., § 198 Rn. 254). Nur in Fällen, in denen eine Verzögerung evident nicht vorliegt bzw. evident noch kompensierbar ist, wäre die Klage als unzulässig abzuweisen.
Die Klage-Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ist eingehalten, weil die Verzögerungsrüge am 07.08.2012 erhoben worden ist und die Frist von 6 Monaten schon bei Klageerhebung am 03.05.2013 abgelaufen war.1. Das Ausgangsverfahren weist bis zum heutigen Zeitpunkt insgesamt eine unangemessene Dauer von 13 Monaten auf.
a) Nach § 198 Abs. 1 Abs. 1 S. 1 GVG ist Voraussetzung eines Entschädigungsanspruchs, dass das Ausgangsverfahren eine „unangemessene Dauer“ aufweist. Ob die Dauer eines Verfahrens insgesamt unangemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG ist, bestimmt sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats (Senat, Urt. v. 30.01.2013, 4 EntV 9/12, Rn. 48-57, juris; Urt. v. 08.05.2013, 4 EntV 18/12, Rn. 42-47, juris) nicht nach einem abstrakt-generalisierenden Maßstab, der sich am statistischen Durchschnitt der Zeitdauer eines rechtsförmigen Verfahrens orientiert, sondern nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Das Ausgangsverfahren muss mithin auf konkrete Phasen der Verzögerung untersucht werden, die ggf. jeweils zu addieren sind. Bei der Prüfung der Unangemessenheit der durch diese Verzögerungen begründeten Verfahrensdauer ist nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG „insbesondere“ die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter zu berücksichtigen. Verfahrensverzögerungen, die durch den Entschädigungskläger selbst verursacht worden sind, können daher keine Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen. Eine besondere Bedeutung kommt der Verfahrensführung durch das Gericht zu. Insofern gilt der Grundsatz, dass ein Gericht ein Verfahren im Rahmen des von der jeweiligen Prozessordnung vorgegebenen Ablaufs sachgerecht führen und fördern muss. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt dabei die sorgfältige und um-fassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes durch das Gericht. Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit gemäß Art. 97 Abs. 1 GG besteht in der Regel ein Ermessen des verantwortlichen Richters hinsichtlich der Verfahrensgestaltung im Einzelnen. Aus diesem Grund können eine vertretbare Rechtsauffassung bzw. eine nach der Zivilprozessordnung vertretbare Leitung des Verfahrens durch das Gericht, auch wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben, keinen Entschädigungsanspruch begründen. Ein Anspruch des Rechtssuchenden auf optimale Verfahrensförderung besteht nicht.
Bei der Beurteilung, welcher Prüfungszeitraum vor Erlass einer richterlichen Entscheidung bzw. einer verfahrensfördernden Maßnahme angemessen ist, sind die konkreten Umstände des Einzelfalls, insbesondere Art, Inhalt und Umfang der zu treffenden Entscheidung sowie die rechtliche und tatsächliche Schwierigkeit und Bedeutung des zugrunde liegenden Rechtsstreits zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Person des Entscheidenden ist ein objektivierter Maßstab anzulegen, abzustellen ist mithin auf den Zeitraum, den ein pflichtgetreuer Durchschnittsrichter für die Erarbeitung einer derartigen Entscheidung benötigt. Darüber hinaus ist diesem ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen, denn nicht nur rechtliche oder tatsächliche Beurteilungen eines Richters, sondern auch die Verfahrensführung als solche kann angesichts des verfassungsrechtlichen Grundsatzes richterlicher Unabhängigkeit nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden. Denn Maßstab ist die verfassungsrechtlich relevante Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz. Dieser Anspruch ist verletzt, wenn die festgestellten Verzögerungen die Schlussfolgerung „auf die generelle Vernachlässigung von Grundrechten“ oder „eine grobe Verkennung des grundrechtlichen Schutzes“ oder „einen geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen“ zulässt oder „rechtsstaatliche Grundsätze durch die Verzögerung krass“ verletzt werden. Eine das Verfahren verzögernde richterliche Bearbeitung ist daher erst dann entschädigungsrechtlich relevant, wenn bei voller Berücksichtigung auch der Belange einer funktionierenden Zivilrechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senat, Urt. v. 30.01.2013, 4 EntV 9/12, Rn. 80 f. m. zahlreichen weiteren Nachweisen, juris; Urt. v. 08.05.2013 – 4 EntV 18/12, Rn. 44, 45, juris; Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.O., § 198 Rn. 127 ff.; Marx/Roderfeld, a.a.O., § 198 Rn. 19 ff. und Rn. 33).
Eine nach dieser Prüfung der einzelnen Verfahrensabschnitte festzustellende Verzögerung kann nicht ohne weiteres mit einer unangemessenen Verfahrensdauer gleichgesetzt werden. In einem zweiten Schritt ist vielmehr eine umfassende Abwägung vorzunehmen, ob unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände die Gesamtverfahrensdauer als unangemessen zu beurteilen ist. Dabei ist neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Anspruchssteller, die nur in Beziehung zur Gesamtdauer eines Verfahrens gesetzt werden kann, insbesondere zu prüfen, ob einzelne verzögerte Verfahrensabschnitte im weiteren Verlauf durch einen zügigen Fortgang des Verfahrens kompensiert worden sind und sich die Länge des Verfahrens insgesamt noch nicht als unangemessen darstellt. Ist das Verfahren noch nicht abgeschlossen, so ist für die Begründetheit zu prüfen, ob die bisher eingetretene Verzögerung bereits „irreparabel ist“, ob sie also bei einer prognostischen Gesamtwürdigung des noch abzuschließenden Verfahrens bestehen bleiben wird oder möglicherweise noch kompensiert werden kann (dazu unten 2.).
b) Dementsprechend ist für den vom Kläger beanstandeten Verfahrenszeitraum vom 16.08.2008 bis zur letzten mündlichen Verhandlung des Entschädigungsverfahrens zu prüfen, ob der Rechtsstreit vor dem Landgericht Frankfurt a.M. entschädigungsrechtlich relevante konkrete Phasen von Verzögerungen aufweist, die nicht mehr durch prozessordnungsgemäße Abläufe erklärbar sind.
aa) Entgegen der Meinung des Klägers ist nicht das gesamte Verfahren nach dem Eingang des ersten Sachverständigengutachtens vom 16.12.2008 deshalb verzögert, weil dieses den Klägervortrag bestätigt habe und weitere Begutachtungen nicht erforderlich gewesen seien. Bei der Entscheidung, ob nach Vorliegen eines Gutachtens die Sache entscheidungsreif oder eine Ergänzung der Begutachtung erforderlich oder eine weitere Begutachtung anzuordnen ist, handelt es sich um eine Maßnahme der materiellen Verfahrensleitung. Sie setzt eine tatsächliche und rechtliche Bewertung voraus, die in den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit fällt. Solche Entscheidungen können deshalb nur dann die Feststellung einer Verfahrensverzögerung rechtfertigen, wenn die richterliche Bewertung vor dem Hintergrund der jeweils geltenden Prozessordnung und /oder des materiellen Rechts unvertretbar und unter keinem Gesichtspunkt verständlich erscheint (Senat, Urt. v. 30.01.2013, 4 EntV 9/12, Rn. 80 f. m. zahlreichen weiteren Nachweisen, zitiert nach juris; Urt. v. 08.05.2013, 4 EntV 18/12, Rn. 45, juris; Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.O., § 198 Rn. 127 ff.; Marx/Roderfeld, a.a.O., § 198 Rn. 19 – 23).
Diese Voraussetzung ist weder für die Anordnung vom 11.03.2009 zur weiteren Beweiserhebung (Ergänzung des Gutachtens SV3) noch hinsichtlich der am 23.12.2010 angeordneten Einholung eines „Obergutachtens“ gegeben. Im Gegenteil war die Einholung des Ergänzungsgutachtens aufgrund der Einwände des beklagten Arztes gegen die Erstbegutachtung prozessual geboten. Die Einholung eines „Obergutachtens“ hat das Landgericht ermessensfehlerfrei damit begründet, dass zwischen dem Gutachten des SV3 und dem Gutachten der außergerichtlich für die ärztliche Schlichtungsstelle tätig gewordenen Sachverständigen Widersprüche bestünden; dies rechtfertigt in der Regel nach § 412 ZPO eine weitere Begutachtung (vgl. etwa BGHZ 53, 245, 258).
bb) Für den Zeitraum zwischen dem Ergänzungsbeweisbeschluss vom 11.03. 2009 und der Mitteilung über (vermeintlich) fehlende Röntgenbilder durch den Sachverständigen SV2 Ende Mai 2011 sind Phasen prozessual nicht erklärbarer Verzögerungen des Verfahrens nicht erkennbar. Der Kläger hat solche auch nicht konkret benannt.
Das Landgericht hat das Verfahren in diesem Abschnitt im üblichen Rahmen geführt. Dass das Ergänzungsgutachten von SV3 erst 13 Monate nach der Beauftragung einging, beruhte nicht auf einer mangelnden Anleitung des Gerichts (vgl. dazu Senat, Urt. v. 30.01.2013, 4 EntV 9/12, Rn. 70-75). Das Landgericht hat zwar im Verlauf eines halben Jahres insgesamt vier unbeantwortet gebliebene Sachstandsanfragen an den Sachverständigen gerichtet und erst dann eine verbindliche Frist gesetzt. Dies ist vor dem Hintergrund der nach § 411 Abs. 1 und 2 ZPO in das Ermessen des Gerichts gestellten Maßnahmen gegen einen säumigen Sachverständigen noch vertretbar. Nach Eingang des Ergänzungsgutachtens des SV3 musste die Kammer den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme geben und nach Ablauf der Stellungnahmefrist die eingegangenen Schriftsätze für die Entscheidung über das weitere Vorgehen prüfen. Die dafür bis zum Erlass des Beweisbeschlusses betreffend das Obergutachten verstrichene Verfahrensdauer von sechs Monaten ist nicht unangemessen. Insbesondere war es nicht unvertretbar, sondern angesichts der Kostenvorschusspflicht der Parteien nachgerade sachgerecht, dass das Landgericht die Absicht zur Einholung eines Obergutachtens zunächst mit Gelegenheit zur Stellungnahme angekündigt hat.
cc) In dem Verfahrensabschnitt zwischen der Mitteilung des schon seit drei Monaten beauftragten Sachverständigen SV2, er habe keine Röntgenbilder erhalten, Ende Mai 2011 (vgl. handschriftliche Mitteilung der Endo-Klinik auf die gerichtliche Sachstandsanfrage vom 13.05.2011, im Akteneinband Bd. II AdA) und dem Rückfordern der Akte durch den Vorsitzenden der Kammer am 22.10.2012 (1 Jahr und 5 Monate später) ist eine durch ein vertretbares prozessuales Vorgehen der Kammer nicht erklärbare Verzögerung von 13 Monaten festzustellen.
(1) Das Landgericht hätte nach der Mitteilung des Sachverständigen über die ver-meintlich fehlenden Röntgenbilder zunächst auf der Geschäftsstelle der Kammer nach deren Verbleib forschen müssen. Waren sie dort nicht auffindbar, so hätte es bei den anderen Beteiligten, dem Kläger und dem vorherigen Sachverständigen SV3 anfragen müssen, ob sich die Bilder dort befanden. Denn aus dem Schriftsatz des Klägers vom 28.04.2008 (Bl. 140 AdA) ergab sich, dass der Kläger „in seinem Besitz befindliche(n) Röntgenbilder“ unmittelbar an den damaligen Sachverständigen (SV3) geschickt hatte. Aus dem Gutachten des Sachverständigen SV3 (dort Seite 4f, Bl. 152 AdA) war ohne weiteres erkennbar, dass ihm (mindestens) vier Paare von Röntgenbildern des Knies des Klägers zur Begutachtung vorgelegen hatten. Es war deshalb naheliegend, dass die Bilder, wenn sie sich nicht bei der an SV2 übersandten Gerichtsakte befanden, entweder noch beim Sachverständigen SV3 verblieben waren oder von diesem an den Kläger zurückgeschickt worden waren.
Der für diese Nachforschungen durch das Gericht hypothetisch noch vertretbare Zeitrahmen ist mit zwei Monaten anzusetzen. Unverständlich und aufgrund völlig fehlender Dokumente unerklärbar ist, dass das Landgericht für die – vom Beklagten nicht näher beschriebenen und in der Akte des Ausgangsverfahrens nicht dokumentierten – Nachforschungen den gesamten Sommer und Herbst 2011 (rund 6 Monate) benötigt hat und der nächste Verfahrensschritt erst mit dem Schreiben des Vorsitzenden vom 07.12.2011 erfolgt ist.
Die Unaufklärbarkeit der in diesem Zeitabschnitt eingetretenen Gründe der Verzögerung muss zu Lasten des beklagten Landes gehen.
Das Verfahren ist in diesem Verfahrensabschnitt – bis zum 07.12.2011 – mithin um vier Monate verzögert worden.
(2) Mit dem Schreiben des Vorsitzenden vom 07.12.2011 (K 18) hat das Landgericht nach den erfolglosen Nachforschungen bezüglich der Röntgenbilder zunächst in sachgerechter Weise das Verfahren fortgesetzt. Denn jetzt musste das Gericht auf Grund der Feststellung, dass nach einem Versendungsvermerk im Retent (vgl. Vermerk Bl. 372 AdA) dem Sachverständigen mit den zwei Bänden Gerichtsakten auch Röntgenbilder übersandt worden seien, mit der Möglichkeit rechnen, dass diese Bilder sich tatsächlich in der Gerichtakte befanden und vom Sachverständigen lediglich übersehen worden waren. Allenfalls aufgrund des „außer Kontrolle“ geratenen Retents erklärbar ist aber, dass das Landgericht nicht für eine baldige Antwort des Sachverständigen Sorge getragen hat. Der Verlust von Aktenbestandteilen, die sich in der Verwahrung der Justizbehörden befinden, fällt jedoch in den Verantwortungsbereich des Gerichts und damit des Beklagten. Grundsätzlich wäre es zu diesem Zeitpunkt nämlich sachgerecht gewesen, wenn die Kammer eine Frist zur Wiedervorlage des Retents zwecks einer eventuellen Erinnerung des Sachverständigen an die Erledigung der Anfrage vom 07.12.2011 verfügt hätte. Tatsächlich hat der Vorsitzende der Kammer indes erst über 10 Monate später am 22.10.2012 und zweieinhalb Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge mit der Rückforderung der Akte vom Sachverständigen den erforderlichen nächsten Verfahrensschritt eingeleitet. Es kann angenommen werden, dass bei sachgerechtem Vorgehen die Sachlage bis Ende Januar 2012 geklärt worden wäre.
Das Ergebnis hätte darin bestehen können, dass (Variante 1) der Sachverständige die Röntgenbilder gesucht und gefunden oder (Variante 2) er sich – wie offenbar tatsächlich geschehen – nicht gemeldet hätte oder (Variante 3) er bei der Angabe, die Bilder befänden sich nicht bei der Akte, geblieben wäre. Im Falle der Variante 1 hätte unter Zugrundelegung der vom Sachverständigen nach dem Auffinden der Bilder tatsächlich benötigten Zeit zur Vorlage des Gutachtens von etwa vier Monaten dieses im Juni 2012 vorgelegen, mithin 11 Monate früher als geschehen. Dieser hypothetische Ablauf ist jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich. Ebenso wahrscheinlich erscheint angesichts der tatsächlichen Abläufe die Variante 2. Dann aber hätte das Landgericht jedenfalls schon Ende Januar 2012 die erst im Oktober verfügte Rückforderung der Akten vornehmen können.
Das Verfahren ist deshalb in diesem Stadium 9 Monate verzögert worden.
dd) Für die Folgezeit ist keine weitere Verzögerung festzustellen. Nach der Rück-forderung der Akte am 22.10.2012 hat der Vorsitzende zwar erst am 24.01.2013 dem Sachverständigen die Auffindung der Bilder mitgeteilt und ihm die Akte zur Fortsetzung der Begutachtung zugesandt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Akte nach Verzögerungen bei der Versendung (Bl. 371 AdA) erst Mitte November 2012 wieder beim Landgericht einging. Der Zeitraum von etwa zwei Monaten bis zur Überprüfung des Sachverhalts im Januar durch den Vorsitzenden der Kammer erscheint noch vertretbar, zumal dieser jetzt um eine bevorzugte Erledigung des Gutachtenauftrags bemüht war (vgl. Vermerk Bl. 373 AdA). Der Sachverständige hat dementsprechend schon vier Monate später das Gutachten fertig gestellt.
2. Die bisher eingetretenen Verzögerungen addieren sich auf eine Dauer von 13 Monaten. Diese Verzögerung ist „irreparabel“. Sie bleibt auch bei einer prognostischen Gesamtwürdigung des weiteren Verfahrens bis zu seinem erstinstanzlichen Abschluss bestehen und kann nicht mehr kompensiert werden. Bis heute sind erstinstanzlich seit Klageeinreichung 6 ½ Jahre verstrichen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Rechtsstreit entscheidungsreif ist und jedenfalls noch innerhalb des Jahres 2013 entschieden wird, hätte das Verfahren dann in erster Instanz nahezu 7 Jahre gedauert. Die Gesamtdauer des Verfahrens von fast sieben Jahren in der ersten Instanz stellt sich bei einer Gesamtwürdigung vor allem unter den Gesichtspunkten des Umfangs und der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, der Bedeutung des Verfahrens für den Kläger und dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten als unangemessen lang dar.
a) Der Rechtsstreit ist in tatsächlicher Hinsicht trotz seines Charakters als Arzthaftungsprozess nur von mittlerer Schwierigkeit. Es geht beim Anspruchsgrund allein um die Frage eines Behandlungsfehlers. Die Schriftsätze der Parteien sind nicht ungewöhnlich umfangreich; die Akte hat bis heute einschließlich der Gutachten nur einen Umfang von 399 Blatt in zwei Bänden. Auch die Gutachten der Sachverständigen sind nicht umfangreich. Die Rechtslage zum Anspruchsgrund ist eher einfach. Hinsichtlich der Höhe des Anspruchs weist der Rechtsstreit angesichts dessen, dass nur Schmerzensgeld und die Feststellung weiterer Ersatzpflicht verlangt wird, keine gesteigerten Schwierigkeiten auf.
b) Die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger ist erheblich, wenn auch nicht existenzbedrohend. Der Kläger hat im Verlauf des Verfahrens mehrfach betont, dass er an erheblichen Schmerzen leide, und er hat im Entschädigungsverfahren hervorgehoben, dass ihn der Rechtsstreit erheblich psychisch belaste. Dies ist nachvollziehbar. Bei Schmerzen infolge eines nach der Rechtsauffassung des Klägers zu verantwortenden Fehlers des beklagten Arztes erfüllt das Schmerzensgeld auch eine Genugtuungsfunktion. Die Verzögerung des Rechtsstreits schiebt entweder diese Genugtuung oder, wenn sich die Klage als unbegründet erweist, die Klarstellung über die bislang verfolgte Fehlvorstellung des Klägers hinaus.
c) Der Kläger selbst hat die Dauer des Rechtsstreits in keiner Weise (mit) zu verantworten. Die Dauer geht überwiegend auf lange Bearbeitungszeiten bei den Sachverständigen und hinsichtlich der entschädigungsrechtlich relevanten Verzögerungszeit von 13 Monaten auf Versäumnisse in der Sphäre des Gerichts zurück.
3. Ein Entschädigungsanspruch des Klägers wegen der unangemessenen Verfahrensdauer ist jedoch für eine Verzögerungsdauer von 4 Monaten, also für die bis zum Inkrafttreten des Gesetz eingetretene Verzögerung nach Art. 23 S. 3 ÜGRG ausgeschlossen, weil die Verzögerungsrüge nicht unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben worden ist.
a) Nach Art. 23 S. 2 ÜGRG gilt für anhängige Verfahren, die beim Inkrafttreten des Gesetzes bereits verzögert sind, § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. Der Begriff der Unverzüglichkeit bedeutet ausweislich der Regierungsbegründung „ohne schuldhaftes Zögern“ (vgl. BT-Drs. 17/3802 Seite 31), knüpft also an § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB an. Dem Betroffenen wird damit eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessende Prüfungs- und Überlegungsfrist eingeräumt, innerhalb der er die Frage, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung vorliegt, prüfen können muss (OLG Bremen, Urt. v. 20.02.2013, 1 SchH 9/12, Rn. 14; OLG Frankfurt, Urt. v. 28.03.2013, 16 EntV 5/12).
Die am 07.08.2012 erhobene Verzögerungsrüge war daher nicht unverzüglich. Im ÜGRG ist nicht eindeutig bestimmt, welche Folge eintreten soll, wenn der Geschädigte die unverzügliche Nachholung nach Inkrafttreten des Gesetzes unterlässt. Art. 23 S. 3 ÜGRG bestimmt, dass die unverzügliche Nachholung der Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG „auch für den vorausgehenden Zeitraum“ wahrt. Hieraus ist der Umkehrschluss zu ziehen, dass die Unterlassung der unverzüglichen Rüge den Anspruch für einen vorausgehenden Zeitraum ausschließt. Auslegungsbedürftig ist jedoch, ob mit dem „vorausgehenden Zeitraum“ derjenige vor der Erhebung der Rüge – hier also vor dem 07.08.2012 – oder derjenige vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 03.12.2011 gemeint ist. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich hierzu kein klares Bild (vgl. BT-Drucks. 17/3802 Seite 31 zu Art. 22 GVG-E).
b) Der gesetzgeberische Grund der Verweisung auf § 198 Abs. 3 GVG kann nur darin liegen, dass einem wegen Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz Geschädigten vor Inkrafttreten des Gesetzes die Notwendigkeit einer Verzögerungsrüge zur Geltendmachung einer Entschädigung nicht bekannt sein konnte und ihm daraus keine Nachteile entstehen sollen. Bei einer nach Inkrafttreten des Gesetzes unverzüglich erhobenen Rüge des Geschädigten soll er aber so gestellt werden, als hätte er die Rüge im Ausgangsverfahren schon früher erhoben. Die zutreffende systematische und der Gesetzgebungsgenese folgende Auslegung muss nach Überzeugung des Senats jedoch dazu gelangen, dass mit dem „vorausgehenden Zeitraum“ allein derjenige vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 03.12.2011 gemeint ist (so auch: OLG Bremen, Urt. v. 20.02.2013 – 1 ScH 9/12 (EntV); a. A. (Ausschluss für gesamten Zeitraum vor der verspäteten Rüge): OLG Karlsruhe, Urt. v. 03.05.2013 – 23 Sch 1/13 EntV; OLG Frankfurt, 16. Senat, Urt. v. 28.03.2013 – 16 EntV 5/12; Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.O., § 198 Rz. 196 und Art. 23 ÜGRG Rz. 6).
Die Übergangsregelung soll der Situation eines Verfahrensbeteiligten Rechnung tragen, dessen andauerndes Verfahren bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits verzögert ist. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs wahrt die unverzüglich nachgeholte Rüge den Anspruch so, als ob die Verzögerungsrüge vor Inkrafttreten erhoben worden wäre (Regierungsbegründung BT-Drucks. 17/3802 Seite 31). Dann aber dürfen dem Verfahrensbeteiligten auch umgekehrt aus der Unterlassung der unverzüglichen Rügeerhebung nach Inkrafttreten des Gesetzes keine weitergehenden Nachteile entstehen als sie ihm entständen wären, wenn das Institut der Verzögerungsrüge des § 198 Abs. 3 GVG bereits früher – als sich das Ausgangsverfahren vor Inkrafttreten des Gesetzes verzögerte oder zu verzögern drohte – bestanden hätte.
Folge einer verspäteten Erhebung der Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG ist jedoch nicht, dass eine Entschädigung für eine im Zeitraum vor der Rüge liegende Verzögerung des Verfahrens generell ausgeschlossen ist.
Nach § 198 Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit S. 2 GVG ist eine Verzögerungsrüge zu erheben, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in an-gemessener Zeit abgeschlossen wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Rüge früher hätte erhoben werden können.
Folge des Unterlassens einer rechtzeitigen Verzögerungsrüge ist nämlich nicht, dass für den zurückliegenden Zeitraum generell eine Entschädigung nicht beansprucht werden kann (Marx/Roderfeld, a.a.O., § 198 Rz. 135 – 137; Böcker DStR 2011, 2173, 2176; Althammer/Schäuble, NJW 2012, 13; a. A. wohl Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.O., § 198 GVG Rz. 196). Die Folgen einer unterlassenen rechtzeitigen Rüge sind allerdings im Gesetz nicht klar ausgesprochen. Dass die verspätete den Entschädigungsanspruch nicht generell für die zurückliegende Zeit ausschließt ergibt sich erst aufgrund einer Auslegung des Gesetzes.
aa) Für den Ausschluss einer Entschädigung wegen Verzögerungen des Verfahrens, die vor der Rüge eingetreten sind, spricht der präventive Zweck der Verzögerungsrüge. Sie soll nämlich einerseits dem Gericht die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen und andererseits einem Verhalten der Prozesspartei entgegenwirken, das als „Dulde und Liquidiere“ gekennzeichnet wird (Begründung des Regierungsentwurfs, a.a.O., Seite 20, re. Spalte). Ein solches Verhalten könnte nur dann ausgeschlossen werden, wenn die Höhe des Entschädigungsanspruchs durch ein Zurückhalten der Verzögerungsrüge nicht beeinflusst würde. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Verzögerungsrüge erst spät erhoben wird und damit auch ihre Warnfunktion nicht entfalten könnte (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.O., § 198 GVG Rz. 196).
bb) Nach den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen hat sich der Gesetzgeber jedoch in Kenntnis dieser Aspekte dagegen entschieden, eine Entschädigung wegen des vor einer verspäteten Verzögerungsrüge liegenden Zeitraums generell auszuschließen. Da es sich um ein zum Zeitpunkt der Anwendung junges Gesetz handelt, ist dem Willen des Gesetzgebers vor einem anderweiten teleologischen Auslegungsergebnis der Vorzug zu geben.
Im Referentenentwurf für das Gesetz war nach Wortlaut und Zielsetzung vorgesehen, dass die Entschädigung für den vor einer verspäteten Rüge liegenden Zeitraum ausgeschlossen ist. Dies kam im Wortlaut darin zu Ausdruck, dass der Verfahrensbeteiligte die Entschädigung nur erhalte, „soweit er die Dauer des Gerichtsverfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge)“ (Referentenentwurf vom 15.03.2010, abgedruckt bei: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.O, Anhang 5. Vgl. auch § 198 GVG Rz. 194 Fn. 389). Demgegenüber ging der dann auch Gesetz gewordene Entwurf der Bundesregierung davon aus, dass die Erhebung der Verzögerungsrüge sechs Monate vor Klageerhebung zwar Klagevoraussetzung ist, die Verspätung der Rüge im Hinblick auf den in § 198 Abs. 3 S. 2 GVG genannten Zeitpunkt („Anlass zur Besorgnis…“) jedoch „grundsätzlich unschädlich“ ist. Es solle die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht „bestraft“ werden (Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 17/3802, Seite 21 linke Spalte). Stattdessen könne, wenn sich das Verhalten des Verfahrensbeteiligten nach den Gesamtumständen als ein „Dulde und Liquidiere“ darstelle, dies bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer oder bei der Frage, ob Wiedergutmachung auf andere Weise ausreiche, berücksichtigt werden (ebenda). Diese Auffassung fand dann auch in dem gegenüber dem Referentenentwurf geänderten Gesetzeswortlaut Ausdruck. Es heißt nun nicht mehr „soweit er…“, sondern „wenn er … die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge)“ (vgl. dazu auch: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.O., Einf. Rz. 316).
Der Wille des Gesetzgebers ergibt sich zweifelsfrei auch aus den weiteren Beratungen des Gesetzes. Der Rechtsausschuss des Bundestages hat trotz bei einer Sachverständigenanhörung vereinzelt in diesem Zusammenhang geäußerten Kritik insoweit keine vom Regierungsentwurf abweichende Empfehlung gegeben (Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 17/7217). Nach dem Gesetzesbeschluss des Bundestages hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme zwar angeregt, im Gesetzestext klarzustellen, dass es grundsätzlich unschädlich sein solle, wenn die Verzögerungsrüge nach dem im § 198 Abs. 3 S. 2 GVG-E bestimmten Zeitpunkt erhoben wird (BT-Drucks. 17/3802, Seite 35). Die Bundesregierung hat jedoch in ihrer Gegenäußerung dazu die Auffassung vertreten, dass der Regelungsvorschlag im Hinblick auf die grundsätzliche Unschädlichkeit einer Verspätung der Verzögerungsrüge keine Unklarheit aufweise. Dem Verhalten im Sinne eines „Dulde und Liquidiere“ könne, außer unter den in der Gesetzesbegründung genannten Gesichtspunkten, auch bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung durch Reduzierung des Pauschalbetrages nach § 198 Abs. 2 S. 4 GVG Rechnung getragen werden (vgl. zu allem BT-Drucks. 17/3802 Seite 41). Der Bundesrat hat sodann seine Zustimmung zu der in diesem Punkt unverändert gebliebenen Fassung des Gesetzes erteilt.
Die vom Gesetzgeber getroffene Lösung des Zielkonflikts, einerseits einem „Dulde und Liquidiere“ entgegenzuwirken und andererseits abwartende, geduldige Prozessparteien nicht zu benachteiligen, ist auch inhaltlich überzeugend. Bei einem Ausschluss einer Entschädigung wegen Verzögerungen des Verfahrens, die vor der Rüge eingetreten sind, wäre die den vollen Anspruch wahrende Verzögerungsrüge nämlich immer dann zu erheben, wenn „Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird“. Dabei („Anlass zur Besorgnis“) handelt es sich jedoch um einen unbestimmten Rechtsbegriff mit prospektivem Charakter, den ein zivilprozessualer Laie, aber auch ein Rechtsanwalt nicht sicher einzuschätzen vermag. Es bestünde die Gefahr, dass Rechtsanwälte, um etwaige Ansprüche für ihre Parteien zu sichern, möglichst frühzeitig, bei geringen Anzeichen für eine bevorstehende Verzögerung die Verzögerungsrüge erheben und nach jeweils 6 Monaten wiederholen. Es wäre aber jedenfalls nicht sachgerecht, wenn die Höhe eines Entschädigungsanspruches von einer derart unsicheren und deshalb mit Risiken behafteten Einschätzung abhinge.
Folglich kann der Ausschluss eines Entschädigungsanspruchs wegen bereits vor der Rüge liegender Verfahrensverzögerungen auch nicht Folge der Unterlassung der Rüge nach Art. 23 S. 2 ÜGRG in Verbindung mit § 198 Abs. 3 GVG sein.
Art. 23 S. 2 und S. 3 ÜGRG sind mithin dahin auszulegen, dass das Unterlassen einer unverzüglichen Erhebung der Verzögerungsrüge nach Inkrafttreten des Gesetzes am 03.12.2011 einen Entschädigungsanspruch nur wegen des Zeitraumes ausschließt, der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes liegt.
c) Dass der Kläger mit der Rüge vom 07.08.2012 die Verzögerungsrüge im Sinne der Überleitungsvorschrift des Art. 23 S. 2 und 3 ÜGRG nicht unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes am 03.12.2011, nämlich erst 8 Monate später, erhoben hat, schließt daher einen Entschädigungsanspruch allein für die vor dem Inkrafttreten eingetretene Verzögerung von 4 Monaten aus. Es kann jedoch insoweit auch ohne dahin gehenden Antrag nach § 198 Abs. 4 GVG vom Gericht die Feststellung ausgesprochen werden, dass das Verfahren unangemessen verzögert ist. Denn nach § 198 Abs. 4 S. 3, 2. Halbs. GVG ist dies auch möglich, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 3, also die Erhebung einer rechtzeitigen Verzögerungsrüge, nicht erfüllt sind. Der Senat macht von dem ihm eingeräumten Ermessen dahin Gebrauch, dass er eine solche Feststellung im vorliegenden Fall für sachgerecht hält.
4. Der Umstand, dass der Kläger die Verzögerungsrüge verspätet erhoben hat, ist vorliegend unschädlich.
Gegen die Annahme eines sich nach den Gesamtumständen ergebenden Bildes eines „Dulde und Liquidiere“ spricht entscheidend, dass der Kläger bereits vor der Rüge durch mehrere Sachstandsanfragen (drei in den Jahren 2009/2010, Bl. 299 ff. AdA, und zwei im Jahre 2011, Anlagen K 16 + 17) das Landgericht zu Anfragen beim Sachverständigen veranlasst bzw. den Fortgang des Verfahrens durch das Landgericht angemahnt hat. Die Verzögerungsrüge war neben einer Anfrage beim Präsidenten des Landgerichts ersichtlich dadurch veranlasst, dass die vorangegangenen Sachstandsanfragen beim Gericht unbeantwortet geblieben waren. Zu würdigen ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass auch nach der Verzögerungsrüge vom 07.08.2012 noch mehr als zwei Monate (bis zum 22.10.2012) vergingen, bis das Gericht eine prozessleitende Maßnahme vorgenommen hat. Es ist daher nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger die lange Verfahrensdauer „anstandslos“ hingenommen hätte und nur im Nachhinein eine Entschädigung erstrebt.
5. Es ist gerechtfertigt, dem Kläger für die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetretene Verzögerung des Verfahrens um 9 Monate die regelmäßige Entschädigung von 100,- € je Monat der Verzögerung zuzubilligen. Es sind weder besondere Umstände ersichtlich, die eine Verminderung, noch solche, die eine Erhöhung als billig erscheinen lassen. Wie dargelegt hat der Rechtsstreit für den Kläger eine erhebliche persönliche, andererseits aber auch keine existenzielle Bedeutung. Aus demselben Grund ist für die eingetretene Verfahrensverzögerung von 9 Monaten nach dem 03.12.2011 auch eine Wiedergutmachung auf andere Weise (§ 198 Abs. 2 S. 2 und Abs. 4 GVG) nicht ausreichend.
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