In dem vom OLG Hamm am 9.4.2019 entschiedenen Verfahren (3 RVs 10/19) hatte der Angeklagte versucht eine junge Frau, die er auf Facebook kennengerlernt hatte, durch die Drohung, er werde Nacktbilder von Ihr veröffentlichen oder in der Nähe Ihrer Schule aufhängen dazu zu bewegen, ihn sexuell zu befriedigen.
Das Schöffengericht hatte den Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Das Landgericht hatte sodann auf die Berufung des Angeklagten diesen aus rechtlichen Gründen freigesprochen.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat das OLG nunmher den Freispruch aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen, weil die vom Landgerichts vertretene Rechtsauffassung, der Angeklagte habe noch nicht unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestands angesetzt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegne.
Durch die bereits vorgenommene Nötigungshandlung habe der Angeklagte die sexuelle Selbstbestimmung der zur Tatzeit noch minderjährigen Geschädigten jedenfalls unmittelbar gefährdet. Dass die Geschädigte sich noch nicht in dem unmittelbaren Wirkungsbereich des Angeklagten begeben hattte, ändere nach Auffassung des Senats an der unmittelbaren Gefährdung der sexuellen Selbstbestimmung der Zeugin nichts.
Aus den Entscheidungsgründen:
[…]
Das Amtsgericht – Schöffengericht – Herford hat den Angeklagten am 6. März 2018 wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
[…]OLG Hamm 3 RVs 10/19 vom 9.04.2019
Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bielefeld das Urteil des Amtsgerichts – Schöffengericht – Herford vom 6. März 2018 mit Urteil vom 3. September 2018 aufgehoben und den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Das Landgericht hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:
„Die am ##.##.1999 geborene Zeugin C ist noch Schülerin. Seit Januar 2017 wohnt sie in einer Wohngruppe.
Als sie etwa 15 ½ bis 16 Jahre alt war, erhielt sie über eine Freundin ein Bild des Angeklagten. Über Facebook bekam sie auch eine Freundschaftsanfrage von ihm. In der Folgezeit entwickelte sich zwischen ihnen ein reger Schreibkontakt auf WhatsApp. Es wurden auch Profilbilder ausgetauscht. Die Zeugin C fand ihn nett, sie verliebte sich in ihn. Auch der Angeklagte schrieb ihr, sie zu lieben. Sie hatten die Telefonnummern ausgetauscht, sie telefonierten aber nicht miteinander, es blieb bei den Kontakten über Facebook und insbesondere über WhatsApp. Im Laufe der Zeit war auch mal die Rede davon gewesen, dass sie sich treffen wollten, es wurde aber nicht umgesetzt.
(…)
Etwa Anfang Juni 2017 sprach der Angeklagte die Zeugin C im Rahmen des Chatverlaufs darauf an, sie solle ihm Nacktfotos von sich zukommen lassen. Die Zeugin C war unsicher, sie zögerte. Als aber der Angeklagte ihr über WhatsApp Fotos von sich hatte zukommen lassen, auf denen sein erigierter Penis zu sehen war, entschloss sich die Zeugin C, ihm auch von sich Fotos zu senden. Sie fertigte Fotos von sich. Auf zwei Fotos ist sie mit BH und Slip bekleidet. Auf einem Foto trägt sie ein ärmelloses Top und eine Strumpfhose. Auf einem Bild ist sie ganz nackt und ein Foto zeigt eine Großaufnahme ihrer Vagina. Wegen der Fotos i.E. wird gem. § 267 Abs. 1 S.3 StPO auf die Lichtbilder im Sonderband Beweismittel verwiesen.
Als die Nacktfotos verschickt wurden, kam es zu ersten sexuellen Anspielungen seitens des Angeklagten. Spätestens ab Dienstag, den 15.06.2017 hatte der Angeklagte den Entschluss gefasst, sich von der Zeugin C sexuell befriedigen zu lassen. Er wollte mit ihr entweder den Geschlechtsverkehr ausüben, sich von ihr oral oder manuell befriedigen lassen. Ihre ablehnende Haltung wollte er durch die Drohung mit der Veröffentlichung ihrer Nacktfotos oder im Aufhängen ausgedruckter Fotos im Bereich ihrer Schule überwinden.
In dem Zeitraum vom 12. bis 17.06.2017 kam es über WhatsApp zu folgendem Chatverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin C:
(…) [Anm. des Senats: Wegen der Einzelheiten des Chatverlaufs wird auf die getroffenen Feststellungen (UA Seite 4 bis 9) Bezug genommen.]Die Zeugin C war von dem Chatverlauf ziemlich irritiert gewesen. Es dämmerte ihr, dass sie sich in dem Angeklagten getäuscht haben könnte. Sie fühlte sich massiv unter Druck gesetzt. Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Obwohl sie den Angeklagten liebte, wollte sie Sex mit ihm nicht haben.
Der Angeklagte hätte nach seinem Tatplan alles getan, um die Zeugin C zu veranlassen, sich mit ihm zu treffen und die gewünschten sexuellen Handlungen vorzunehmen. Mehrfach hatte er die Facebook Veröffentlichungen und das Aufhängen der Fotos angedroht. Er war sich allerdings nicht sicher, ob die Zeugin C seinem Druck nachgeben würde, hielt dies aber zumindest für möglich.
Nach dem Chatverkehr am Samstag, den 17.06.2017 wusste die Zeugin C nicht, ob nicht vielleicht doch etwas passieren könnte. Sie befürchtete, dass plötzlich ihre Fotos bei Facebook veröffentlicht worden sein könnten oder der Angeklagte irgendwo Fotos von ihr aufgehangen haben könnte.
Am Montag, den 19.06.2017 sprach sie zunächst mit ihrer besten Freundin, nachmittags mit dem Erzieher ihrer Wohngruppe, der ihr riet, zur Polizei zu gehen. Am 19.06.2017 gegen 18:00 Uhr erschien sie auf der Polizeiwache in C2, erstattete Anzeige und stellte Strafantrag.
Aufgrund des Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts Bielefeld vom 20.06.2017 – 9 Gs 3488/17 – suchte die Polizei am nächsten Tag die Wohnung des Angeklagten in der I Straße ## in C2 auf. Auf Nachfrage händigte der Angeklagte sofort sein Smartphone den Polizeibeamten aus. Auf dem Smartphone des Angeklagten waren noch die fünf „Nacktfotos“, die die Zeugin C ihm zugesandt hatte, abgespeichert vorhanden.
Die Zeugin C war durch die Drohung des Angeklagten, die Fotos bei Facebook veröffentlichen zu wollen oder an der Schule auszuhändigen, psychisch massiv unter Druck gesetzt worden. Sie brauchte ca. 1 Monat, um diese Drucksituation allmählich zu verarbeiten. Sie sprach mit ihrer besten Freundin und der Erziehungsleitung darüber.“
Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht Bielefeld zusammengefasst ausgeführt, der Angeklagte sei aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Er habe nach seiner Vorstellung von der Tat noch nicht unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt.
Gegen den Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft Bielefeld, die die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision der Staatsanwaltschaft Bielefeld beigetreten und beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückzuverweisen.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft Bielefeld, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg. Die Freisprechung des Angeklagten hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Der Senat hebt das angefochtene Urteil auf, weil die Rechtsauffassung des Landgerichts, der Angeklagte habe noch nicht unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestands angesetzt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Daher kann dahinstehen, ob das angefochtene Urteil auch nicht den Anforderungen genügt, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind, weil das Landgericht in den Entscheidungsgründen schon den Anklagevorwurf nicht dargelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 5. August 1997 – 5 StR 210/97 – NStZ-RR 1997, 374).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat ein Täter die nach § 22 StGB für den Versuchsbeginn maßgebliche Schwelle regelmäßig überschritten, wenn er bereits ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes verwirklicht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2016 – 2 StR 43/16 – NJW 2017, 1189, Rdnr. 4; vom 7. August 2014 – 3 StR 105/14 – NStZ 2015, 207 und vom 12. Januar 2011 – 1 StR 540/10 – NStZ 2011, 400, 401 m.w.N.; BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 – 1 StR 265/16 –, juris, Rdnr. 95; Fischer, StGB, 66. Auflage, § 22, Rdnr. 9). Jedoch muss immer das, was der Täter zur Verwirklichung seines Vorhabens unternimmt, zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2016 a.a.O.). Wann danach ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung gegeben ist, kann daher nicht für alle Straftatbestände einheitlich bestimmt werden, sondern richtet sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Tatbestandes, und ist für jedes Delikt gesondert zu bestimmen (vgl. BGH, Urteil vom 09. Mai 2017 – 1 StR 265/16 –, juris, Rdnr. 96).
Wann bei einer vergleichbaren Sachlage das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung gemäß § 22 StGB und damit das Versuchsstadium erreicht ist, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung – soweit ersichtlich – noch nicht geklärt.
Für die vorliegende Fallkonstellation einer versuchten sexuellen Nötigung (§§ 177 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3, 22, 23 StGB bedeutet dies Folgendes:
Ausweislich der Feststellungen hat der Angeklagte der Zeugin C gedroht, die von ihr an ihn übersandten „Nacktbilder“ bei Facebook zu veröffentlichen bzw. diese auszudrucken und in ihrer Schule aufzuhängen, um sie zur Vornahme der von ihm gewünschten sexuellen Handlungen zu veranlassen. Damit hat er ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes, nämlich die Nötigungshandlung im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB verwirklicht, so dass dieses Verhalten zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden muss.
Der Bundesgerichtshof hat in der auch von der Strafkammer zitierten Entscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 12. August 1997 – 1 StR 234/97 – juris = BGHSt 43, 177 „Giftfalle“) zudem ausgeführt, dass die für Fälle mittelbarer Täterschaft entwickelten Grundsätze auch gelten, wenn der Täter die Mitwirkung des Opfers – wie hier – zwingend für erforderlich hält, so dass auch in diesen Fällen ein Versuch erst vorliegt, wenn nach dem Tatplan eine konkrete, unmittelbare Gefährdung des geschützten Rechtsguts vorliegt (vgl. BGH a.a.O., Rdnr. 9).
Das durch § 177 StGB geschützte Rechtsgut ist die sexuelle Selbstbestimmung, das heißt die Freiheit der Person, über Zeitpunkt, Art, Form und Partner sexueller Betätigung nach eigenem Belieben zu entscheiden (vgl. Fischer, StGB, 66. Auflage, § 177, Rdnr. 2). Ob die sexuelle Selbstbestimmung der Zeugin durch die Übersendung der WhatsApp-Nachrichten – wie die Generalstaatsanwaltschaft meint – schon konkret beeinträchtigt war, kann dahinstehen. Denn durch die bereits vorgenommene Nötigungshandlung hat der Angeklagte die sexuelle Selbstbestimmung der zur Tatzeit noch minderjährigen Zeugin C, die sich ausweislich der getroffenen Feststellungen bereits durch die Nötigungshandlung massiv unter Druck gesetzt fühlte, jedenfalls unmittelbar gefährdet. Dass die Zeugin den Angeklagten noch nicht zu Hause aufgesucht und sich damit noch nicht in seinen unmittelbaren Wirkungsbereich begeben hat, ändert nach Auffassung des Senats an der unmittelbaren Gefährdung der sexuellen Selbstbestimmung der Zeugin nichts.
Diese weite Auslegung entspricht im Übrigen auch dem Willen des Gesetzgebers, der den strafrechtlichen Schutz des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung weit fasst und hierzu ausgeführt hat (vgl. BT-Drs 18/9097, Seite 21):
„Der Wille des Opfers soll in das Zentrum der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung gestellt werden. Wird dieser Schutz konsequent ausgestaltet, kann es nicht erforderlich sein, dass der Täter einen entgegenstehenden Willen des Opfers überwinden muss, vielmehr reicht es aus, dass der Wille des Opfers erkennbar ist und der Täter sich darüber hinwegsetzt. Der strafrechtliche Schutz des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung darf mit anderen Worten nicht davon abhängen, ob das Opfer es selbst, gegebenenfalls unter hohen Risiken und ohne konkrete Erfolgsaussichten, gegen den Täter verteidigt oder dies zumindest versucht. Setzt sich der Täter über den erkennbaren entgegenstehenden Willen des Opfers hinweg, verletzt er bereits hierdurch und unabhängig von der Motivlage oder etwaigen Verteidigungshandlungen des Opfers dessen Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.“
Hier hat sich der Angeklagte gegen den erkennbar entgegenstehenden Willen der Zeugin C, die dies mehrfach geäußert hatte, hinweggesetzt. Ihre sexuelle Selbstbestimmung war daher auch nach dem Tatplan des Angeklagten bereits unmittelbar gefährdet.
Für die Annahme eines unmittelbares Ansetzens im Sinne des § 22 StGB spricht im Übrigen auch die bereits von der Staatsanwaltschaft Bielefeld zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. März 2013 (BGH, Beschluss vom 5. März 2013 – 5 StR 25/13 – juris). Dort hatte der Bundesgerichtshof ein Urteil des Landgerichts Saarbrücken bestätigt, mit dem der dortige Angeklagte u.a. wegen versuchter Erpressung in zwei Fällen verurteilt worden war. Dem lag zugrunde, dass der Angeklagte versucht hatte, die Zahlung eines Geldbetrages durchzusetzen, indem er Frauen gedroht hatte, die von diesen an ihn übersandten Nacktfotos im Internet zu veröffentlichen.
Auch wenn das geschützte Rechtsgut bei der Erpressung ein anderes ist und es in diesen Fällen keiner weiteren Handlung des Angeklagten mehr bedurfte, besteht nach Auffassung des Senats insoweit keine Veranlassung, den Begriff der Unmittelbarkeit im Sinne des § 22 StGB in diesen Fällen anders zu beurteilen, nur weil der erstrebte Nötigungserfolg nach der Vorstellung des Täters nicht die Zahlung eines Geldbetrages, sondern eine sexuelle Handlung ist.
Der Senat hebt die getroffenen Feststellungen des Urteils insgesamt auf, da der freigesprochene Angeklagte keine rechtliche Möglichkeit hatte, diese anzugreifen.