Nach § 243 IV S. 1 StPO hat der Vorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen, ob Erörterungen zwischen den Verfahrensbeteiligten nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben. Der BGH hat nun in seinem Beschluss vom 20. Oktober 2010 (1 StR 400/10) festgestellt, dass ein Verstoß gegen § 243 IV S. 1 StPO keinen absoluten Revisionsgrund darstellt, also eine Aufhebung des Urteils im Rahmen der Revision nur erfolgt, wenn das Urteil auch auf diesem Fehler beruht.
Diesbezüglich hat der Bundesgerichtshof in seiner Begründung u.a. folgendes ausgeführt:
Einem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO kommt auch keine entsprechende Wirkung zu.
Zwar trägt der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zutreffend vor, die Bestimmung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO diene der Herstellung von Transparenz. Dies führt aber nicht zu der unwiderlegbaren Vermutung, wonach bei einer Verletzung der Norm eine Beeinflussung des Urteilsspruchs dadurch nie ausgeschlossen werden kann.
bb) Zu seiner Auffassung, dass das Urteil auf der fehlenden Mitteilung in der Hauptverhandlung auch beruht, verweist der Beschwerdeführer auf zwei Punkte:
(1) Bei einer Mitteilung seitens der Strafkammervorsitzenden in der Hauptverhandlung über ihre Anfragen zur Möglichkeit einer Verständigung hätte sich der Angeklagte vielleicht doch noch eines anderen besonnen und ein Geständnis abgelegt. Dies schließt der Senat aus. Eine derartige Annahme ist jedenfalls im vorliegenden Fall mehr als fernliegend. Der immer anwaltlich beratene Angeklagte hatte geständige Einlassungen mit Bestimmtheit abgelehnt.
Die grundsätzliche Möglichkeit einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung war ihm bekannt. Die Strafkammer sah hierzu – offensichtlich zu Recht – keine Möglichkeit mehr, sonst hätte sie in der Hauptverhandlung den in § 257c Abs. 3 StPO gewiesenen Weg beschritten.
(2) Die Nennung einer Strafobergrenze bzw. eines Strafrahmens (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO) im Falle der Ablegung eines Geständnisses – habe, auch wenn die Verständigung scheitert, am Ende eines dann streitig durchgeführten Verfahrens im Falle einer Verurteilung zwingend Einfluss auf die Bestimmung der Strafhöhe. Diese Orientierungsfunktion der Nennung einer Strafobergrenze sei hier nicht zum Tragen gekommen, da die übrigen Mitglieder der erkennenden Strafkammer über die Anfrage der Vorsitzenden nicht informiert gewesen seien.
(a) Die behauptete fehlende Unterrichtung der übrigen Angehörigen des Gerichts seitens der Vorsitzenden über ihren Vorstoß unter Nennung einer Strafobergrenze ist schon nicht erwiesen. Aus der dienstlichen Äußerung des sachbearbeitenden Staatsanwalts kann geschlossen werden, dass der beisitzende Berufsrichter die Überlegungen seiner Vorsitzenden kannte. Auch bei den Schöffen liegt es eher nahe, dass diese in den Beratungen davon erfuhren.
Dass vor den Schöffen etwas verheimlicht werden sollte, also ein bewusster Verstoß – sein Vorliegen unterstellt – gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, zur Vermeidung von Transparenz innerhalb des erkennenden Gerichts liegt hier fern.
Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 trat ohne Vorlaufzeit am Tag nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt am 4. August 2009 in Kraft. Etwa drei Monate später begann die Hauptverhandlung in dieser Sache. Die in § 257c StPO enthaltenen Kernbestimmungen zum Verständigungsverfahren standen schon lange im Fokus fachlicher Erörterungen. Demgegenüber sind die in den §§ 160b, 202a, 212, 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a Satz 2 StPO enthaltenen am 3. August 2009 im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Begleitbestimmungen erst allmählich ins Bewusstsein auch der juristischen Praxis gedrungen.
Den Umfang der Information der Schöffen sowie des Beisitzers freibeweislich weiter abzuklären, steht das Beratungsgeheimnis entgegen.
(b) Im Übrigen kommt einem für den Fall eines Geständnisses vor oder zu Beginn einer Hauptverhandlung in den Raum gestellten Strafrahmen (zur Frage der Notwendigkeit der Nennung einer Strafunter- und einer Strafobergrenze vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2010 – 1 StR 347/10, Rn. 7 ff, und vom 11. Oktober 2010 – 1 StR 359/10, Rn. 6) für die Strafzumessung nach langer streitiger Hauptverhandlung in der Regel keine Bedeutung mehr zu. Dies gilt ebenso für eine in diesem Zusammenhang genannte zu erwartende Strafe für den Fall einer Verurteilung ohne ein Geständnis. Zwingend sind Äußerungen des Gerichts zu Letzterem allerdings nicht und sie sind meist auch nicht zweckmäßig.
Wird allerdings bei Verständigungsgesprächen die bei einem „streitigen Verfahren“ zu erwartenden Sanktion genannt, dann darf die Differenz zu der für den Fall eines Geständnisses zugesagten Strafobergrenze nicht zu groß sein („Sanktionsschere“). Die ohne Absprache in Aussicht gestellte Sanktion darf nicht das vertretbare Maß überschreiten, so dass der Angeklagte inakzeptablem Druck ausgesetzt wird. Entsprechend darf das Ergebnis des Strafnachlasses im Hinblick auf ein Geständnis nicht unterhalb der Grenze dessen liegen, was noch als schuldangemessene Sanktion hingenommen werden kann (BGH, Beschluss vom 3. März 2005 – BGHSt GSSt 1/04, BGHSt 50, 40, 50).
Die Frage nach dem Vorliegen einer unzulässig weit geöffneten „Sanktionsschere“ bezieht sich hinsichtlich beider Alternativen (mit und ohne Geständnis) auf den Zeitpunkt der Verständigungsgespräche. Der Unterschied in der – antizipierten – Strafzumessungsbewertung im Falle eines streitigen Verfahrens im Vergleich zum einvernehmlichen Verfahren liegt dann zwar allein in der Ablegung eines Geständnisses und dessen Folgen, wie Verkürzung der Hauptverhandlung oder Schonung der Opfer der Straftat. Das Gewicht eines Geständnisses kann allerdings in verschiedenen Verfahren gleichwohl sehr unterschiedlich sein. Deshalb verbietet sich eine mathematische Betrachtung, etwa
der angemessene Strafrabatt dürfe in der Regel nicht mehr als 20 % bis 30 % betragen (so aber Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c Rn.19). Maßgeblich sind immer die Verhältnisse des Einzelfalls.
Der zum Zeitpunkt von Verständigungsbemühungen vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung vom Gericht in Aussicht gestellte Strafrahmen sowie eine in diesem Zusammenhang für den Fall eines Verfahrens ohne Verständigung genannte Strafhöhe orientiert sich an den Informationen über den Angeklagten und die ihm zur Last gelegten Taten aus den Akten. Im Falle einer erfolgreichen Verständigung mit einem – überprüften – Geständnis und einer dann regelmäßig nicht allzu langen Hauptverhandlung wird sich an dieser Bewertung
meist nichts Grundsätzliches ändern. Der zugesicherte Strafrahmen wird dann durch das Ergebnis der Hauptverhandlung nicht in Frage gestellt (sonst gilt § 257c Abs. 4 StPO). Ähnliches wird bei einem kurzen streitigen Verfahren anzunehmen sein.
Kommt es demgegenüber mangels einer Verständigung zu einer langen Hauptverhandlung mit einer umfangreichen Beweiserhebung, so kann sich der aus den Akten gewonnene Eindruck von Tat und Täter im Einzelfall entscheidend verändern, zum Vor- oder zum Nachteil des Angeklagten. Dem früher für den Fall eines Geständnisses genannten Strafrahmen (§ 257c Abs. 3 StPO) kann dann keine Orientierung zukommen, ebenso wenig einer anfangs für den Fall einer streitigen Hauptverhandlung prognostizierten Strafe. Eines besonderen Hinweises darauf bedarf es nicht. Dass der Inbegriff der Hauptverhandlung maßgeblich ist (§ 261 StPO) versteht sich von selbst. Feste, gar mathematisch bestimmte Regeln über die Ausrichtung der Strafhöhe nach der Durchführung eines „streitigen“ Verfahrens an der für den Falle eines Geständnisses vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung genannten Obergrenze verbieten sich deshalb entgegen dem Revisionsvorbringen auch insoweit (a.A. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c Rn.19, wonach eine Strafe ohne Geständnis in der Regel maximal ein zusätzliches Drittel über der im Rahmen der Verständigungsgespräche genannten Strafobergrenze liegen dürfe).
Die Entscheidung kann hier auf den Seiten des BGH im Volltext abgerufen werden.