Eine auch unwiderruflich dem Verteidiger erteilte Ladungs- und Zustellungsvollmacht ist grundsätzlich in tatsächlicher Hinsicht ohne jede Bedeutung für die Beurteilung des Haftgrundes der Fluchtgefahr.
Diesen Leitsatz hat das Hanseatisches OLG zu seinem Beschluss vom 31.08.2018 (1 Ws 90/18) aufgestellt und die weitere Beschwerde des Angeklagten gegen den Untersuchungshaftbefehl als unbegründet verworfen.
Aus den Entscheidungsgründen:
[…] Die weitere Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts vom 20. August 2018 wird als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der – mehrfach einschlägig vorbestrafte und unter Bewährungsaufsicht stehende – Angeklagte erstrebt die Entlassung aus der Untersuchungshaft.
1. Er war am 12. Juni 2018 festgenommen worden. Am Folgetag hatte das Amtsgericht Hamburg einen auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl erlassen. Hiermit war ihm vorgeworfen worden, im Hamburger Schanzenviertel am 12. Juni 2018 – beobachtet von Zivilfahndern der Polizei Hamburg – unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben und an einen Konsumenten 3,29g Marihuana für € 30 verkauft zu haben. Am Donnerstag, den 28. Juni 2018, hatte die Ermittlungsrichterin im Rahmen einer mündlichen Haftprüfung den weiteren Vollzug des Haftbefehls – namentlich gegen in dem ihm zugewiesenen Landkreis in Sachsen-Anhalt zu erfüllende Aufenthalts- und Meldeauflagen – ausgesetzt und der Angeklagte seinem Verteidiger eine „Ladungs- und Zustellungsvollmacht“ zu Protokoll erteilt.
2. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die beim Amtsgericht am Dienstag, den 3. Juli 2018, einging, hob das Landgericht Hamburg den Verschonungsbeschluss am selben Tag auf und setzte den Haftbefehl hierdurch wieder in Vollzug. Der Angeklagte konnte am 6. August 2018 im Hamburger Schanzenviertel – in unmittelbarer Nähe zu dem im Haftbefehl aufgeführten Tatort – verhaftet werden.
3. Bereits am 9. Juli 2018 hat ihn die Staatsanwaltschaft wegen dieser Tat angeklagt; mit Beschluss vom 15. August 2018 hat das Amtsgericht Hamburg-Altona das Hauptverfahren eröffnet und Haftfortdauer angeordnet. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hat die Große Strafkammer mit der in der Beschlussformel genannten Entscheidung verworfen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner weiteren Beschwerde.
II.
Die weitere Beschwerde des Angeklagten ist zulässig (vgl. hierzu nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 310 Rn. 8 m.w.N.). Das Rechtsmittel hat indes in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung und den Vollzug des Haftbefehls liegen vor (§ 112 Abs. 1 Satz 1 und 2, Absatz 2 Nr. 1 StPO).
1. Die erforderlichen dringenden Verdachtsgründe sind gegeben (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).
a) Dringender Tatverdacht besteht, wenn aufgrund bestimmter, im Zeitpunkt der Entscheidung aktenkundiger Tatsachen eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung des Beschuldigten im Erkenntnisverfahren besteht (vgl. nur KK-StPO/Graf, 7. Aufl., §112 Rn. 6 ff.).
b) Gemessen hieran ist der Angeklagte des – gewerbsmäßigen – unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dringend verdächtig (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG). Am 12. Juni 2018 gegen 20.35 Uhr verkaufte und übergab der Angeklagte im Florapart im Hamburger Stadtteil Sternschanze dem gesondert Verfolgten Te. 3,29g Marihuana zum Preis von € 30 in einem verkaufsfertig abgepackten Gripptütchen.
c) Dieser Sachverhalt wird sich in der Hauptverhandlung hochwahrscheinlich bereits aufgrund der Wahrnehmungen der eingesetzten Polizeikräfte, des gesondert Verfolgten und der Lichtbilder des Angeklagten nach der Festnahme erweisen lassen.
aa) Der Polizeibeamte G. hat seine Wahrnehmungen in einem detaillierten – mangels Vernehmungsinhalten ohne Weiteres nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO in die Hauptverhandlung einzuführenden – Vermerk niedergelegt (Bl. 2 d.A.). Er hat hier nachvollziehbar namentlich Personenbeschreibungen (etwa „schwarzhäutige männliche Person“, „schlank“, „schwarze Hose“ und „blassgelbes Basecap“) sowie die Übergabehandlung im Zusammenwirken mit dem gesondert Verfolgten Te. festgehalten.
bb) Diese Wahrnehmungen werden bestätigt und ergänzt durch die – ebenfalls in einem dienstlichen Vermerk niedergelegten und damit verlesbaren – Wahrnehmungen des Polizeibeamten K. (Bl. 4 f. d.A.). Dieser nahm die Verfolgung des nach der Tatentdeckung durch die Polizeikräfte flüchtenden Beschuldigten auf und knüpfte erkennbar an die ihm durch den Beamten G. übermittelte Personenbeschreibung an (etwa „auffälliges gelbes Basecap“). Der Beamte G. erkannte in der durch diese Einsatzkräfte festgenommenen Person den von ihm bei der Tatbegehung beobachteten Angeklagten wieder.
cc) Das Geschehen wird zudem belegt werden durch die Vernehmung des anderweitig Verfolgten Te. Dieser hat gegenüber dem Beamten G. eingestanden, Mariuhana für € 30 erworben zu haben. Der Verkäufer habe eine „Kopfbedeckung“ getragen und „schwarze Haut“ gehabt (Bl. 2 d.A.). Das gegen diesen Zeugen eingeleitete Strafverfahren wurde zwischenzeitlich nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt (6000 Js 575/18); da kein Strafbefehl erwirkt wurde, ist kein Strafklageverbrauch eingetreten.
dd) Im Übrigen deckt sich die Personenbeschreibung – des einschlägig vorbestraften Angeklagten, dem hier erkennbar kein wesensfremdes Delikt zur Last gelegt wird – durch den Beamten G. mit dem aktenkundigen äußeren Erscheinungsbild des Angeklagten (Bl. 11 d.A.).
ee) Vor diesem Hintergrund ist die Beweislage als derart einfach und klar anzusehen, dass eine polizeiliche Kräfte bindende Vorladung der eingesetzten Beamten mit Blick auf § 244 Abs. 2 StPO ohne Weiteres verzichtbar gewesen wäre.
d) Der Beschuldigte handelte – ohne, dass die Anklageschrift diesen sich aufdrängenden Umstand erörterte – hochwahrscheinlich auch mit der Absicht, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen (vgl. nur Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. § 29 Abs. 3 Rn. 13 m.w.N.). Es liegen zureichend aktenkundige Beweiszeichen vor, die ein solches strafschärfendes Vorgehen belegen.
Hierzu an dieser Stelle nur beispielhaft:
aa) Der Beschuldigte verfügt über keine legalen Einkünfte. Ausweislich der Angaben des Landkreises Bitterfeld war er dort zuletzt lediglich an drei Tagen (27. März, 29. Mai und 3. Juni 2018) vorstellig geworden, um für wenige Tage Leistungen aus den Sozialkassen als Barauszahlung in Empfang zu nehmen. Er lebt im Bundesgebiet ohne festen Lebensmittelpunkt.
bb) Sein Aufenthalt in Hamburg finanziert er sich – was insbesondere seine Vorstrafen nahelegen – durch Drogenhandel. Selbst nach seiner Haftverschonung hielt er sich erneut in unmittelbarer Nähe des allgemeinbekannten Drogenumschlagplatzes und nicht – wie im Haftverschonungsbeschluss zumindest erkennbar zugrunde gelegt – in Sachsen-Anhalt auf.
2. Es besteht auch der nach § 112 Abs. 2 StPO erforderliche Haftgrund. Wird der Angeklagte in Freiheit entlassen, steht konkret zu besorgen, dass er abermals untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten wird (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
a) Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist anzunehmen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme tragen, dass der Angeklagte sich dem Strafverfahren entziehen wird.
aa) Der Angeklagte hat nunmehr mit einer unbedingten Freiheitsstrafe zu rechnen. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob die Regelwirkung des § 29 Abs. 3 BtMG hier mit Blick auf die gehandelte Art und Menge der Droge als erschüttert angesehen wird. Denn es liegt ein hartnäckiger Rechtsbruch vor. Der Angeklagte ist mehrfach einschlägig vorbestraft und weist eine bemerkenswerte Rückfallgeschwindigkeit auf (vgl. hierzu nur Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Teil 2; Rn. 170 m.w.N.) Das damit erkennbar im Raum stehende nicht unempfindliche Strafübel wird erhöht durch den absehbaren Bewährungswiderruf in anderer Sache.
bb) Diesem Fluchtanreiz stehen keine Bindungen entgegen. Der Angeklagte lebt ohne gesicherten Aufenthaltsstatus faktisch in Hamburg; seine Duldung ist abgelaufen. Kontakt zum Landkreis in Sachsen-Anhalt hält er – selbst bei ihm erteilten Auflagen in einem Haftverschonungsbeschluss – nur sporadisch. Warum eine Anordnung nach § 59b AufenthG nicht erkennbar getroffen wurde, erschließt sich dem Senat nicht. Er hält sich daher für die zuständigen Behörden weitgehend unerreichbar im Bundesgebiet auf (vgl. hierzu auch BeckOK-StPO/Krauß, 30. Ed., § 112 Rn. 21 mw.N.). Ein solches Verhalten dokumentiert in zureichender Weise, dass der Beschuldigte jedes Gebot zur Mitwirkung (vgl. etwa § 82 AufenthG) an behördlichen Verfahren ignoriert oder eine Mitwirkung gar verweigert. Dies indiziert zudem eine absehbare Verweigerungshaltung erst recht für das Strafverfahren. Denn hier drohen ihm nicht nur besondere freiheitsentziehende Sanktionen, sondern im Falle einer Verurteilung zu einer unbedingten – d.h. nicht mehr zur Bewährung ausgesetzten – Freiheitsstrafe sogar die zwingende Ausweisung aus dem Bundesgebiet (§ 53 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) und zugleich die Rechtsfolgen des § 11 AufenthG sowie Sperrwirkungen mit Blick auf sozialrechtliche Ansprüche (vgl. bereits Senatsbeschl. v. 11. Dezember 2015 – 1 Ws 168/15, NStZ 2016, 433, 434).
cc) Fluchtgefahr wird überdies auch und gerade beim dringenden Verdacht einer Betäubungsmittelstraftat regelmäßig anzunehmen sein. Dies folgt bereits aus der gesetzgeberischen Wertung des § 61 Abs. 1c AufenthG und § 59b Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG. Hiernach kann eine – kraft Gesetzes nach § 61 Abs. 1b AufenthG bzw. § 59a Abs. 1 AsylVfG erloschene – räumliche Beschränkung dann wieder angeordnet werden, wenn der betreffende Ausländer bzw. Asylsuchende einer Drogenstraftat „hinreichend verdächtig“ ist. Der Gesetzgeber anerkennt hier ersichtlich mit Blick auf die Mobilität der solcher Taten Verdächtigen besondere Gefahren, die es rechtfertigen, bereits vor einem rechtskräftigen Urteil ordnungsbehördlich einzuschreiten (vgl. im Einzelnen Senatsbeschl. v. 11. Dezember 2015 – 1 Ws 168/15, NStZ 2016, 433, 434).
dd) Die vom Angeklagte erteilte „unwiderrufliche Zustellungs- und Ladungsvollmacht“ für seinen Verteidiger ist für die Beurteilung des Haftgrundes ohne jede Bedeutung.
(1) Zwar ist der obergerichtlichen Rechtsprechung der Hinweis auf ein solches Beweiszeichen, das gegen die Annahme der Fluchtgefahr sprechen könnte, zu entnehmen (OLG Dresden, Beschl. v. 5. April 2007 – 2 Ws 96/07, BeckRS 2011, 16585). Auch wird diese – freilich vereinzelt gebliebene Entscheidung – von der Kommentarliteratur zitiert (vgl. nur BeckOK-StPO/Krauß, a.a.O., Rn. 20; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 112 Rn. 13). Dieser Entscheidung ist indes nicht zu entnehmen, dass bereits die Vollmachterteilung die Annahme von Fluchtgefahr ausschließt; lediglich in einer erkennbar vom Haftgericht vorzunehmenden Gesamtwürdigung kommt dieser Umstand als Hinweis auf die Glaubhaftigkeit der Angabe, sich dem Verfahren stellen zu wollen, nach dieser obergerichtlichen Rechtsansicht Bedeutung zu. Schon daran fehlt es hier. Denn nur der erteilten Vollmacht kann nicht die Absicht entnommen werden, dass der Angeklagte auch tatsächlich bereit und in der Lage ist, zur Hauptverhandlung zu erscheinen (HansOLG, Beschl. v. 27. August 2018 – 2 Ws 157/17). Die nicht weiter begründete Einschätzung des Verteidigers, dass er seinen Mandanten als „zuverlässig“ erachte, ist nicht belastbar.
(2) Die Ladungs- und Zustellungsvollmacht ist grundsätzlich in tatsächlicher Hinsicht ohne jede Bedeutung für die Beurteilung der Haftfrage. Diesem Mittel fehlt es schon an der Geeignetheit, die Anwesenheit des Angeklagten in der für eine – auch von Verfassungs wegen zu gewährleistende – funktionstüchtige Strafrechtspflege notwendigen Weise zu sichern. Denn durch diese kann nicht gesichert werden, dass ein über seinen Verteidiger geladener Angeklagter von einer nach § 145a Abs. 2 StPO bewirkten Ladung tatsächlich erfährt (HansOLG, Beschl. v. 27. August 2018 – 2 Ws 157/17). Überdies kann im Falle seines Ausbleibens zu der anberaumten Hauptverhandlung eine Vorführung nach § 230 Abs. 2 StPO in Ermangelung eines Wohnsitzes nicht mit Erfolg durchgeführt werden, sodass sich das Gericht abermals veranlasst sehen müsste, einen Haftbefehl zu erlassen (§ 230 Abs. 2 StPO) oder aber einen solcher abermals in Vollzug zu setzen.
(3) Die Ladungs- und Zustellungsvollmacht ist aber auch aus Rechtsgründen – entgegen der vorgenannten obergerichtlichen Rechtsansicht – grundsätzlich ohne jede Bedeutung für die Beurteilung der Haftfrage. Es ist allein die Pflicht des Gerichts, die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu sichern. Nicht einmal ein Angeklagter ist von Gesetzes wegen verpflichtet, sich dem Verfahren zur Verfügung zu halten. Auch der Verteidiger ist für die Anwesenheit eines Angeklagten zur Hauptverhandlung nicht verantwortlich. Daran ändert auch eine Ladungsvollmacht nichts; sie begründet lediglich die – im Mandatsverhältnis angelegte – Pflicht zur Entgegennahme einer Ladung. Ein Strafgericht kann daher die ihm allein obliegende Pflicht zur Verfahrenssicherung nicht auf den Verteidiger übertragen oder den Rechtsanwalt dieserart in seinem ureigenen Pflichtenkreis tätig werden lassen. Der Strafverteidiger ist keinesfalls „der Gehilfe des Gerichts“ (vgl. schon Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozessordnung, Teil II, Vor § 137 Rn. 8). Es handelt sich hier gerade nicht um originär gerichtliche Fürsorgepflichten gegenüber dem Angeklagten, bei deren Wahrnehmung der Verteidiger im Sinne eines Angeklagten verantwortlich mitwirkt (vgl. Maiwald, FS Lange, 1976, S. 745, 758 ff.; ferner Barton, FS Müller, 2008, S. 31, 33; zum Pflichtenkreis des Strafverteidigers auch Weigend, FS Schlothauer, 2018, S. 191, 199 ff.), sondern um die hoheitliche Verfahrenssicherung zur Gewährleistung der – verfassungsrechtlich abgesicherten – effektiven Strafrechtspflege.
(4) Überdies: Die durch eine solche Verfahrenspraxis der Strafgerichte begründeten Gefahren für eine effektive Strafverfolgung haben sich hier realisiert. Der Angeklagte reiste zwar sporadisch in die ihm zugewiesene Aufnahmeeinrichtung in Sachsen-Anhalt; einen Wohnsitz im Sinne eines dauerhaften, für die Behörden verlässlichen Aufenthalts begründete er dort allerdings vollständig unbeeindruckt von der drohenden Untersuchungshaft auch weiterhin nicht. Für eine Haftverschonung gab es hier – erst recht als erkennbare Sanktionierung einer angeblichen Verfahrensverzögerung durch die Anklagebehörde – keinen Raum.
3. Die Zwangsmaßnahme ist auch verhältnismäßig.
a) Mildere Mittel sind nicht ersichtlich. Eine Haftverschonung kommt mit Blick auf die fehlende zuverlässige Erreichbarkeit des Angeklagten nicht in Betracht.
b) Die Zwangsmaßnahme hält erkennbar einer Prüfung am Übermaßverbot stand. Der Beschuldigte hat mit einer nicht unempfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dabei ist ohne Bedeutung, ob die Strafe dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 oder Absatz 3 BtMG entnommen werden wird. Denn auch ausgehend vom Grundtatbestand wird der strafschärfende Aspekt des gewerbsmäßigen Handelns weiterhin zu beachten sein. Vor diesem Hintergrund stehen die wenige Wochen umfassende Dauer vollstreckter Untersuchungshaft und die bis zum Verfahrensabschluss noch zu erwartende Untersuchungshaft erkennbar nicht in einem Missverhältnis zum Tatvorwurf und der absehbaren Sanktion. Dass der Angeklagte selber „Marihuanakonsument“ ist (vgl. AG Hamburg-Altona, Urt. v. 12. September 2017 – 326a Ds 180/17), erweist sich nicht als Strafmilderungsgrund.
c) Anderes folgt auch nicht aus den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Verfahrensverzögerungen.
aa) Das Verfahren ist zügig geführt, angeklagt und ohne erkennbare Verzögerungen auch eröffnet worden. Die Staatsanwaltschaft durfte ohne Weiteres auch das Ergebnis des endgültigen Test- und Wiegeberichts abwarten. Vor dem Hintergrund der hier mit Blick auf den anstehenden Bewährungswiderruf und die hohe Rückfallgeschwindigkeit trotz der überschaubaren gehandelten Menge zu erwartenden nicht mehr kurzfristigen Freiheitsstrafe war eine zügige, nicht aber überhastete Verfahrensführung geboten.
bb) Die Hauptverhandlung wird nun durchgeführt werden am 7. und 20. September 2018. Dass die Hauptverhandlung mangels notwendiger Vorführungskapazitäten der Untersuchungshaftanstalt um eine Woche verschoben werden musste (Bl. 144R d.A.), untersteht zwar dem staatlichen Verantwortungsbereich. Auch ist dieser Organisationsmangel grundsätzlich nicht hinnehmbar. Vor dem Hintergrund des ansonsten zügig geförderten Verfahrens bis zur Eröffnungsentscheidung ist die hierdurch entstandene Verzögerung kompensiert und fällt auch deshalb nicht ins Gewicht. Der Senat kann aus diesem Grund auch offen lassen, ob die Verhandlung dieser einfach gelagerten Sache an zwei – gar mehrere Wochen auseinander liegenden – Hauptverhandlungsterminen noch mit der gebotenen zügigen Verfahrensführung vereinbar ist. Denn hochwahrscheinlich wäre das Verfahren – gefördert durch § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO – auch in wenigen Stunden abzuschließen gewesen.
4. Dem Vollzug des Haftbefehls steht auch nicht etwa ein schutzwürdiges Vertrauen – rechtlich abgesichert durch § 116 Abs. 4 StPO (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 17. September 2009 – 1 Ws 269/09, juris Rn. 19; HansOLG in Bremen, Beschl. v. 1. März 2013 – Ws 5/13, juris Rn. 33) – des Angeklagten entgegen. Es fehlt bereits an einem Vertrauenstatbestand. Ein solcher wurde schon durch kein Zeitmoment begründet. Die Staatsanwaltschaft hat nach der Verschonung des Angeklagten vom Vollzug der Untersuchungshaft unverzüglich Beschwerde hiergegen eingelegt. Die Haftverschonung war am 28. Juni 2018 in Abwesenheit eines Vertreters der Staatsanwaltschaft ergangen. Die Verfahrensakten gingen erst am 2. Juli 2018 – einem Montag – bei der Staatsanwaltschaft ein (Bl. 59 d.A.); schon am nächsten Tag legte sie Beschwerde ein (Bl. 66 d.A.).
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