In seiner Entscheidung vom 11.6.2021 (2 Rb 35 Ss 94/21) hat sich das OLG Karlsruhe mit der Verfassungsmäßigkeit und Auslegung der bußgeldbewehrten Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs nach der baden-württembergischen Corona-Verordnung (September 2020) befasst und auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen die Geldbuße von 100 € auf 70 € reduziert.
Zu seiner Entscheidung hat das OLG folgende Leitsätze aufgestellt:
- Das Infektionsschutzgesetz enthält mit den in §§ 28, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO BW angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung bei Nutzung des öffentlichen und des touristischen Personenverkehrs) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 Corona-VO.
- Das bußgeldbewehrte Gebot des Tragens einer (nicht-medizinischen) Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Personenverkehr nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 19 Nr. 2 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung) vom 23.06.2020 (GBl. S. 483) in der am 30.09.2020 geltenden Fassung vom 22.09.2020 (GBl. S. 721) ist verfassungsgemäß.
- Soweit § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO vom 23.06.2020 bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs das Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung vorschreibt, wird für jeglichen Aufenthalt in den namentlich aufgeführten Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs das durchgängige Tragen eine Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet. Der Verordnungsgeber hat in § 3 Abs. 2 CoronaVO einzelne Ausnahmen von der durchgängigen Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den in § 3 Abs. 1 genannten Orten (insbesondere im öffentlichen Personenverkehr) geregelt, dabei jedoch keine Ausnahme „bei Einhaltung eines Mindestabstands von über 1,5 Metern“ normiert. Eine solche Ausnahme gebot das Verfassungsrecht zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt auch nicht.
Die Entscheidung im Volltext:
- Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts A. vom 3. Dezember 2020 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und dahin abgeändert, dass die Betroffene zu einer Geldbuße von 70,- Euro verurteilt wird.
- Die weitergehende Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts A. vom 3. Dezember 2020 wird das mit der Maßgabe als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 OWiG), dass die Betroffene eines vorsätzlichen Verstoßes gegen die Corona-Verordnung (durch Nichttragen einer medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs) schuldig ist.
- Die Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen. Jedoch wird die Rechtsbeschwerdegebühr um ein Drittel ermäßigt und ein Drittel der der Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht A. hat die Betroffene mit Urteil vom 03.12.2020 wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die Corona-Verordnung (Nichttragen einer medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung) zu der Geldbuße von 100,- Euro verurteilt.
Hierzu hat das Amtsgericht unter II. folgenden Sachverhalt festgestellt:
Am 30.09.2020 gegen 15.00 Uhr fuhr die Betroffene in … A mit der S-Bahn 1. Auf Höhe der Haltestelle A wurde durch eine Polizeistreife im Zug festgestellt, dass die Betroffene ihre nichtmedizinische Alltagsmaske unter dem Kinn trug und sich mit einer Pinzette Barthaare am Kinn herauszupfte. Bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte die Betroffene ihr Fehlverhalten erkennen können und müssen.
Die Verurteilung ist auf § 73 Abs. 1a Nr. 24 i.V.m. §§ 32, 28 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz und § 19 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – Corona-VO) vom 23.06.2020 (GBl. S. 483) in der am 30.09.2020 geltenden Fassung vom 22.09.2020 (GBl. S. 721) gestützt.
§ 3 „Mund-Nasen-Bedeckung“ der Corona-VO BW lautete in der zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Fassung – soweit vorliegend beachtlich – wie folgt:
(1) Eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung muss getragen werden
- bei der Nutzung des öffentlichen und des touristischen Personenverkehrs (Eisenbahnen, Straßenbahnen, Busse, Taxen, Passagierflugzeuge, Fähren, Fahrgastschiffe und Seilbahnen), an Bahn- und Bussteigen, im Wartebereich der Anlegestellen von Fahrgastschiffen und in Bahnhofs- und Flughafengebäuden,
- …
(2) Eine Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung besteht nicht
- für Kinder bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr,
- für Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen oder sonstigen zwingenden Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, wobei die Glaubhaftmachung gesundheitlicher Gründe in der Regel durch eine ärztliche Bescheinigung zu erfolgen hat,
- für Beschäftigte, sofern sich an deren Einsatzort keine Kundinnen und Kunden oder Besucherinnen und Besucher aufhalten,
- in Praxen und Einrichtungen nach Absatz 1 Nummer 2 und 3, sofern die Behandlung, Dienstleistung oder Therapie dies erfordert,
- bei der Inanspruchnahme von gastronomischen Dienstleistungen
oder
- wenn ein anderweitiger mindestens gleichwertiger Schutz für andere Personen gegeben ist.
- in Einrichtungen nach Absatz 1 Nummer 6 innerhalb der Unterrichtsräume, in den dazugehörigen Sportanlagen und Sportstätten sowie bei der Nahrungsaufnahme
In der Beweiswürdigung führt das Amtsgericht unter III. u.a. folgendes aus:
Sie (die Betroffene) gab an, die Maske getragen zu haben. Sie habe sie lediglich unter das Kinn gezogen. Sie habe sich zwei Barthaare entfernen wollen. Die Betroffene ist der Ansicht, dass sie im Zug auch hätte essen und trinken dürfen. Außerdem sei jeglicher Mindestabstand von 1,50 m eingehalten gewesen. Im Zugabteil seien kaum andere Menschen gewesen.
Gegen dieses Urteil hat die Betroffene form- und fristgerecht Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Sie macht die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend.
In der Antragsniederschrift vom 29.12.2020 erhebt sie die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, da die Richterin sie nicht habe ausreden lassen. Die Richterin habe ihr mehrfach gesagt, sie solle nicht dazwischenreden. Nachdem sie von der Richterin gerügt worden sei, habe sie sich nicht mehr getraut etwas zu sagen. Das Urteil und das Ordnungsgeld seien ungerecht. Sie trage die Maske bereits seit Mitte Februar, da sie chronisch krank und das Virus gefährlich sei. Die meisten Infektionen passierten innerhalb der Familie und nicht beim Bahnfahren. Während sie in der Bahn die Maske unter das Kinn gezogen habe, sei kein Mensch an ihr vorbeigelaufen. Sie habe die Maske höchstens fünf Minuten heruntergezogen. Sie habe den Spiegel und die Pinzette herausgeholt. Genau in dem Moment sei die Polizistin gekommen, habe ihren Ausweis verlangt und sie zur Anzeige gebracht. Zur Verdeutlichung, dass mehr als ausreichend Abstand, jedenfalls über 1,5 Meter Abstand zu den wenigen anderen Mitfahrern bestanden habe, verwies sie auf eine selbst gefertigte Skizze der Straßenbahn.
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat am 15.02.2021 beantragt, hinsichtlich der Verurteilung zu der Geldbuße von 100,- EUR die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen, diese aber als unbegründet zu verwerfen. Die Betroffene hat hierauf mit Schriftsatz vom 09.03.2021 erwidert und verweist erneut darauf, dass wenn sie etwas gegessen hätte, sie die Maske ja auch hätte abnehmen dürfen. Sie habe die Maske abgenommen, um Barthaare zu zupfen. Sie habe damit keine Körperhygiene, sondern Gesichtspflege betrieben. Die Art, wie mit ihr von Polizei und Gericht verfahren worden sei, wäre unseriös.
Nach Hinweis des Senats hat die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe am 22.03.2021 – unter Wiederholung der am 15.02.2021 gestellten Anträge – zusätzlich beantragt, die Beschwerden der Betroffenen gegen die beiden Ordnungsgeldbeschlüsse des Amtsgerichts A. vom 03.12.2020 als unzulässig zu verwerfen, da beide trotz jedenfalls am 17.12.2020 erfolgter schriftlicher Rechtsmittelbelehrung nicht fristgerecht eingelegt wurden. Die Betroffene hatte auch hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine solche ist nicht eingegangen.
Die originär zuständige Einzelrichterin hat mit Beschluss vom 10.06.2021 die Beschwerden gegen die Ordnungsgeldbeschlüsse als unzulässig verworfen und mit weiterem Beschluss vom 10.06.2021 die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts zugelassen und die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§§ 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG).
II.
Die zugelassene und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Betroffenen hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
- Die Beanstandung, die Richterin habe sie in der Hauptverhandlung weder gefragt noch ausreden lassen, sondern sogar Ordnungsgeld verhängt und sie damit zum Schweigen gebracht, wodurch ihr Anspruch auf das rechtliche Gehör verletzt worden sei, ist nicht den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 StPO gemäß ausgeführt und daher bereits unzulässig. Es fehlt an einer schlüssigen Darlegung, inwiefern das Gericht eine Einlassung der Betroffenen verhindert oder nicht berücksichtigt habe. Ausweislich des gemäß §§ 71 Abs. 1 OWiG, 274 S. 1 StPO maßgeblichen Verhandlungsprotokolls hat sich die Betroffene zur Sache eingelassen und sie hatte auch das letzte Wort. Sie wurde lediglich mehrfach zur Ordnung ermahnt, da sie bei Ausführungen der Vorsitzenden wiederholt „dazwischenredete“. Konkrete Tatsachen, die zum Wegfall der Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls führen, hat die Betroffene nicht vorgetragen. Das Hauptverhandlungsprotokoll weist auch keine erkennbaren Fehler wie offensichtliche Lücken, Unklarheiten oder Widersprüche auf (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 274 Rn. 14 und 17 m.w.N.).
Unabhängig hiervon liegt auch in der Sache keine Gehörsverletzung vor, da sich das Amtsgericht ausführlich mit den Einwänden der Betroffenen, insbesondere, dass die Mund-Nasen-Bedeckung in Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs nur bei einer Unterschreitung des Mindestabstands von 1,5 Metern getragen werden müsse, bzw., dass auch für Belange der Gesichtspflege die Mund-Nasen-Bedeckung abgenommen werden dürfe, auseinandergesetzt hat (vgl. UA S. 3 – 4).
- Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils ergibt – neben der aus dem Tenor ersichtlichen Schuldspruchberichtigung – lediglich im Rechtsfolgenausspruch einen die Betroffene beschwerenden Rechtsfehler. Insoweit hat der Senat von der ihm nach § 79 Abs. 6 OWiG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht und in der Sache selbst entschieden.
A.
Die Feststellungen tragen nicht nur die vom Amtsgericht festgestellte Verurteilung wegen fahrlässiger Begehung, sondern vielmehr die Verurteilung der Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Gebot des Tragens einer nichtmedizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Personenverkehr (Straßenbahn) gemäß §§ 73 Abs. 1a Nr. 24 i.V.m. 32, 28 Abs. 1 S.1 IfSG und § 19 Nr. 2 i.V.m. 3 Abs. 1 Nr. 1 CoronaVO vom 23.06.2020 in der zur Tatzeit gültigen Fassung vom 22.09.2020. Der Senat war nicht gehindert, den Schuldspruch zu Ungunsten der Betroffenen zu berichtigen, weil das Verbot der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot) nur für die Rechtsfolgen der Tat, nicht aber für den Schuldspruch gilt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 358 Rn. 11; § 331 Rn. 8 m.w.N.). Ein vorheriger Hinweis nach § 265 StPO i.V.m § 46 Abs. 1 OWiG war entbehrlich, da auszuschließen ist, dass die Betroffene sich gegen den geänderten Schuldvorwurf anders als bisher hätte verteidigen können.
a) Der rechtlichen Beurteilung ist die zur Tatzeit geltende Fassung der Corona-Verordnung (zukünftig Corona-VO) zugrunde zu legen. Soweit § 4 Abs. 3 OWiG vorschreibt, dass bei Änderungen des Gesetzes nach der Tatbegehung das mildeste Gesetz anzuwenden ist, erfährt dies durch § 4 Abs. 4 Satz 1 OWiG eine Einschränkung für sog. Zeitgesetze. Gesetzliche Regelungen, die nur für eine bestimmte Zeit gelten sollen – nach Artikel 1 Ziffer 8 der Zweiten Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-VO vom 23.06.2020 sollte die Verordnung am 30.11.2020 außer Kraft treten -, bleiben danach auf während ihrer Geltungsdauer begangene Handlungen anwendbar. Allerdings verbleibt es auch bei Zeitgesetzen bei der Anwendung von § 4 Abs. 3 OWiG, wenn die Aufhebung oder Milderung einer Sanktionierung nur auf einer Bewertungsänderung im Sinn einer verbesserten Rechtserkenntnis beruht (KK-Rogall, OWiG, 5. Aufl., § 4 Rn. 36; Gürtler in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 4 Rn. 10a). Da auch nach sämtlichen seither erlassenen Corona-VO gemäß § 3 Mund-Nasen-Schutz (bzw. „Medizinische Masken und Atemschutz“) bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs getragen werden muss (vgl. zuletzt Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 vom 13.05.2021) und § 3 Abs. 1 Satz 1 der Corona-VO in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom 22.09.2020 – in der vom Senat vorgenommenen Auslegung – keine höheren Anforderungen an das Gebot des Mund-Nasen-Schutzes in öffentlichen Verkehrsmitteln stellt als die späteren Fassungen der Verordnung (vielmehr sind nunmehr gem. § 3 Abs. 1 und 2 Corona-VO sogar medizinische Masken oder Atemschutz [welcher den Anforderungen des Standards FFP2 gemäß der Norm DIN EN 149:2001 oder der Standards KN95, N95, KF 94, KF 99 oder eines sonstigen vergleichbaren Standards entspricht] vorgeschrieben, und der Bußgeldrahmen unverändert blieb (vgl. Bußgeldkatalog für Ordnungswidrigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz im Zusammenhang mit der Siebten Corona-VO vom 27.03.2021, nachdem der Bußgeldrahmen weiterhin 50 – 250 Euro beträgt, lediglich der Regelsatz für vorsätzliche Begehung wurde auf 70,- Euro reduziert), gilt inzwischen auch kein milderes Gesetz (vgl. zur voraussichtlichen Verfassungsmäßigkeit der Anordnung von Atemschutz, welcher bestimmte erhöhte Anforderungen an die Schutzwirkung enthält, VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.02.2021, 1 S 381/21,- juris m.w.N.). Auch in Bezug auf die unter § 3 Abs. 2 Corona-VO normierten Ausnahmen gilt – soweit für den vorliegenden Fall von Interesse – inzwischen kein milderes Gesetz. Auch in der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 vom 13.05.2021 ist bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs weder ein Mindestabstand zu weiteren Personen von 1,5 Metern als Ausnahme von der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung erlaubt, noch stellt die Durchführung von irgendeiner Gesichtspflege eine Ausnahme dar. Unter § 3 Abs. 2 Nr. 5 gilt allerdings nunmehr eine erweiterte Ausnahme „beim Konsum von Lebensmitteln“ (statt lediglich „bei Inanspruchnahme von gastronomischen Dienstleistungen“).
b) Das Infektionsschutzgesetz enthält mit den in §§ 28, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung bei Nutzung des öffentlichen und des touristischen Personenverkehrs) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 Corona-VO.
Die Normen des Infektionsschutzgesetzes, mit denen die Regelungskompetenz auf die Landesregierungen delegiert wird, genügen im Hinblick auf die in Frage stehende Regelung in der Corona-VO (Gebot zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs) sowohl hinsichtlich der Vorgaben für die Ausgestaltung der Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten als auch für die Bußgeldbewehrung (insoweit in Bezug auf das Abstandsgebot a.A. ThürVerfGH, Urteil vom 01.03.2021 – 18/20, juris; deshalb nunmehr Vorlage an BVerfG durch ThürVerfGH mit Beschluss vom 19.05.2021, VerfGH 110/20 ,- juris mit umfangreichen weiteren Nachweisen) den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. ausführlich zur Verfassungsmäßigkeit und Auslegung des Aufenthaltsverbots im öffentlichen Raum in der baden-württembergischen Corona-VO (Frühjahr 2020) Senat, Beschluss vom 25.03.2021, 2 Rb 34 Ss 2/21,- m.w.N. und OLG Stuttgart, 4 Rb 24 7/21).
Die Ermächtigungsgrundlage in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG in der Fassung vom 27.03.2020 genügt insbesondere für das in § 3 Abs. 1 Corona-VO geregelte grundsätzliche Gebot zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen in bestimmten öffentlichen Bereichen unter Berücksichtigung der Wesentlichkeitsdoktrin dem Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt (zu den Anforderungen vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.03.1989, 1 BvR 1033/82 BVerfGE 80, 1, 20 und Beschluss vom 21.04.2015, Az. 2 BvR 1322/12 sowie BVerfGE 139, 19; ausf. ebenfalls VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.04.2020 – 1 S 925/20 -, juris m.w.N und BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 28.04.2020 – 1 BvR 899/20 –, juris). Der Gesetzgeber selbst hat in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG ausdrücklich vorgesehen, dass die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen von Halbsatz 1 Personen insbesondere dazu verpflichten kann, von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.05.2020, 1 S 1314/20 -, juris Rn. 26). Die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Personenverkehr stellt einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG oder auch Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG von nur geringer Intensität dar, der auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 IfSG gestützt werden kann (Kießling, Infektionsschutzgesetz, IfSG 1. Aufl. 2020, § 28 Rn. 66 m.w.N.). Bei Bestehen einer Gefährdungslage mit – wie im Fall der Corona-Pandemie – erheblichen prognostischen Unsicherheiten ist der Rückgriff auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel jedenfalls für eine Übergangszeit hinzunehmen, die im Hinblick auf die in diesem Verfahren angegriffene Rechtsverordnung vom 23.06.2020 in der Fassung vom 22.09.2020 noch nicht überschritten war (vgl. – zur entsprechenden thüringischen Corona-VO vom 31.10.2020 – ThürVerfGH, Beschluss vom 19.05.2021, VerfGH 110/20, Rn. 37 ff.; zur voraussichtlichen Rechtmäßigkeit der durch die Corona-VO angeordneten Maskenpflicht u.a. im öffentlichen Personenverkehr siehe auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.05.2020 – 1 S 1314/20 -, juris).
c) An der formellen Rechtmäßigkeit der auf §§ 28, 32 IfSG gestützten Corona-VO vom 23.06.2020 in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung vom 22.09.2020 einschließlich der von § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG (i.d. vom 23.05.2020 bis 18.11.2020 gültigen Fassung, welche insoweit mit der seit 23.04.2021 gültigen Fassung identisch ist) gedeckten Bußgeldvorschrift hat der Senat keine Bedenken (vgl. hierzu auch VGH Baden-Württemberg VBlBW 2020, 422, Beschluss vom 18.02.2021, 1 S 398/21, und Beschluss vom 25.02.2021, 1 S 381/21,- juris, jeweils m.w.N.).
d) Der Verordnungsgeber war durch § 28 IfSG auch ermächtigt, zur Verhinderung der Ausbreitung des SARS-Cov-2-Virus geeignete präventive Maßnahmen gegenüber nicht infizierten Personen (Nichtstörer im polizeirechtlichen Sinn) anzuordnen (VGH Baden-Württemberg a.a.O.).
a. Über die Verfassungsmäßigkeit der Corona-VO hat der Senat selbst zu entscheiden. Eine Rechtsverordnung ist für den erkennenden Richter in einem Bußgeld- oder Strafverfahren auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfbar. Eine Vorlage an das Verfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ist nicht möglich, da es sich nicht um ein formelles Gesetz handelt (vgl. BVerfGE 1, 184, 189; OLG Oldenburg, Beschlüsse vom 11.12.2020 – 2 Ss (OWi) 286/20 -, juris und vom 09.07.2010 – 2 SsRs 220/09 – VRS 2010, Bd. 119, 152; Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze Werkstand 233. EL Oktober 2020, § 28 IfSG, Rn. 9).
b. Wenn – wie im Fall des Coronavirus unstreitig – eine übertragbare Krankheit i.S.d. § 2 Nr. 3 IfSG festgestellt ist, können nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit durch eine Verordnung der Landesregierung getroffen werden.
§ 28 Abs. 1 lfSG (i.d. vom 28.03.2020 bis zum 18.11.2020 gültigen Fassung) ermächtigt nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck sowie dem Willen des Gesetzgebers auch zu Maßnahmen gegenüber Nichtstörern, also gesunden Menschen, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.05.2020 – 1 S 1314/20 -, juris, Rn. 28 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 22.03.2012, Az. 3 C 16/11, NJW 2012, 2823, 2826, Rn. 26), wobei eine Differenzierung zwischen „Störern“ und „Nichtstörern“ im Hinblick auf das Coronavirus ohnehin zweifelhaft ist, da bekannt ist, dass Viren auch durch erkrankte, aber vollkommen symptom- freie Personen übertragen werden können, die als „Störer“ gar nicht erkannt werden können (VGH Baden-Württemberg, a.a.O. ThürVerfGH, a.a.O., OLG Hamm, Beschluss vom 28.01.2021 – III-4 RBs 446/20 -, juris).
Im Falle neuartiger Krankheitserreger und Erkrankungen kann denknotwendig die Frage der Gefährdung der Bevölkerung nicht aufgrund einer sicheren und umfassend abgeklärten Tatsachenbasis bewertet und beantwortet werden. Sie kann lediglich aufgrund von Prognosen erfolgen, die zwar ihrerseits tatsachenbasiert und nachvollziehbar sein müssen, jedoch bestehende Unsicherheiten enthalten dürfen. Aus diesem Grund kommt dem Gesetzgeber oder der von ihm zum Verordnungserlass ermächtigten Exekutive im Falle von Ungewissheiten im fachwissenschaftlichen Diskurs und damit einhergehender unsicherer Entscheidungsgrundlage auch in tatsächlicher Hinsicht ein Einschätzungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13.05.2020, Az. 1 BvR 1021/20, zitiert nach juris, Rn. 10; ThürVerfGH, a.a.O.).
Nach dem Maßstab der Vertretbarkeit muss die vom Verordnungsgeber angestellte Prognose sachgerecht und vertretbar sein, was voraussetzt, dass die Prognose aus einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials herrührt (vgl. BVerfG, Az. 1 BvR 532/77 u.a., BVerfGE 50, 290, – juris). Der Verordnungsgeber muss die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können und einen Verstoß gegen Verfassungsrecht zu vermeiden. Wird diesen verfahrensrechtlichen Anforderungen Genüge getan, so erfüllen sie die Voraussetzung inhaltlicher Vertretbarkeit; sie konstituieren insoweit die Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers, die das Gericht bei seiner Prüfung zu beachten hat (vgl. BVerfG, aa.O.). Im Rahmen der nachträglichen gerichtlichen Prüfung ist dabei grundsätzlich auf die Verhältnisse abzustellen, die zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses vorlagen und deren Beurteilung dem Verordnungsgeber bei der Vorbereitung der Verordnung möglich war. Der Verordnungsgeber hat sich – ebenso wie die Bundesregierung – weitestgehend auf die Risikobewertungen und Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) gestützt. Diesem kommt nach § 4 lfSG bei der Einschätzung des Infektionsgeschehens hinsichtlich übertragbarer Krankheiten bereits gesetzlich eine zentrale Stellung zu. Es berücksichtigt in einem transparenten Verfahren die (weltweit) verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse umfassend und wertet entsprechende Daten umfänglich aus. Die von ihm herangezogen Quellen werden entsprechend belegt. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass seine Einschätzungen – und damit auch die des Verordnungsgebers, der sich bei Verordnungserlass auf diese stützte – (evident) fehlerhaft gewesen wären (vgl. ThürVerfGH, a.a.O.).
c. Der § 3 Abs. 1 Satz 1 Corona-VO vom 23.06.2020 in der zur Tatzeit geltenden Fassung zukommende Regelungsgehalt – soweit vorliegend beachtlich – ist dabei durch Auslegung zu ermitteln.
(1) Bei der Auslegung einer Norm bildet der Wortlaut zugleich Ausgangspunkt und Grenze (BVerfGE 71, 108; 92, 1). Mit dem Begriff „bei der Nutzung des öffentlichen…Personenverkehrs“ wird jegliches Nutzen (vgl. nur https://www.duden.de/rechtschreibung/Nutzung#bedeutung) und damit jeglicher Aufenthalt in den namentlich aufgeführten Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs (der als „Beförderung von Personen durch Unternehmen des öffentlichen Verkehrs“ definiert wird, vgl. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/oeffentlicher-personenverkehr – 45155) erfasst. Soweit § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO vom 23.06.2020 bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs das Tragen einer „nicht medizinischen Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung“ anordnet, ergibt sich daraus ohne Weiteres, dass es – entgegen der Auffassung der Betroffenen – nach dem maßgeblichen Willen des Verordnungsgebers gerade nicht darauf ankommt, welchen Abstand die in der Bahn befindlichen Personen zueinander haben. Vielmehr wird für jegliche Nutzung bzw. jeglichen Aufenthalt in den namentlich aufgeführten Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs das durchgängige Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet.
(2) Soweit unter § 2 „Allgemeine Abstandregeln“ der Corona-VO vom 23.06.2020 angeordnet ist, dass im öffentlichen Raum ein Mindestabstand zu anderen Personen von 1,5 Metern eingehalten werden muss, sofern nicht die Einhaltung des Mindestabstands im Einzelfall unzumutbar, dessen Unterschreitung aus besonderen Gründen erforderlich oder durch Schutzmaßnahmen ein ausreichender Infektionsschutz gewährleistet ist, ergibt sich hieraus nichts anderes. Diese allgemeine Regelung bezieht sich auf den gesamten öffentlichen Raum, also insbesondere auch auf den Aufenthalt im Freien und wird in Bezug auf die in § 3 aufgezählten geschlossenen Räume – bei denen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Ansteckungsgefahr signifikant höher liegt – durch die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, welche nach dem klaren Wortlaut der Norm keine Einschränkung durch einen Mindestabstand erfährt, verschärft. Der Verordnungsgeber hat in § 3 Abs. 2 Corona-VO einzelne klar definierte Ausnahmen von der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den in § 3 Abs. 1 genannten Orten (insbesondere im öffentlichen Personenverkehr) geregelt, dabei jedoch – im Hinblick auf den o.g. Sinn und Zweck der Regelung nachvollziehbar – keine Ausnahme bei Einhaltung eines Mindestabstands von über 1,5 Metern normiert. Soweit in § 3 Abs. 2 Nr. 6 Corona-VO keine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung besteht, „wenn ein anderweitiger mindestens gleichwertiger Schutz für andere Personen gegeben ist“, ist hierfür – nach dem Sinn und Zweck der Norm wie der Gesetzessystematik – der in § 2 Abs. 2 Corona-VO unter „Allgemeine Abstandsregel“ geregelte Mindestabstand von 1,5 Metern im öffentlichen Raum nicht ausreichend. Der Verordnungsgeber hat die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern in den in § 3 Abs. 1 Corona-VO genannten Orten, in § 3 Abs. 2 Corona-VO gerade nicht als eine Ausnahme von der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung definiert. Auch aus § 3 Abs. 2 Nr. 6 Corona-VO ergibt sich nichts anders. Insoweit hat bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darauf hingewiesen, dass nach dem in § 3 Abs.2 Nr. 6 Corona-VO normierten Wortlaut, wonach anderweitiger mindestens gleichwertiger Schutz die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufhebt, hierfür geschaffene (bauliche) Schutzmaßnahmen erforderlich sind. Die Einhaltung des Abstandsgebots stellt indes keine „Schutzmaßnahme“ in diesem Sinne dar. Eine solche Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung, nur dann auf die Verpflichtung zum Tragen einer Maske zu verzichten, wenn Infektionen auf andere Art und Weise vermieden werden können. Denn bei längerem Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen kann sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als 1,5 Meter erhöhen, insbesondere dann, wenn eine infektiöse Person besonders viele kleine Partikel (Aerosole) ausstößt, sich längere Zeit in dem Raum aufhält und exponierte Personen besonders tief und häufig einatmen. Durch die Anreicherung und Verteilung der Aerosole im Raum ist das Einhalten des Mindestabstands zur Infektionsprävention ggf. nicht mehr ausreichend (RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 09.02.2021).
Der Verordnungsgeber hat angesichts dieser tatsächlichen Gefährdungslage in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise in § 3 Corona-VO das permanente Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung (zukünftig MNB) für Situationen in geschlossenen Räumen vorgesehen, in denen engere und längere Kontakte zu anderen Menschen unvermeidbar sind, wie beim Einkaufen, in Arbeits- und Betriebsstätten, bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel einschließlich der dazugehörenden Wartebereiche sowie in Praxen humanmedizinischer Berufe und Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes. In diesen Räumen, insbesondere bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, herrscht im Übrigen – worauf schon das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat – ein dynamisches Geschehen. Durch das ständige Ein- und Aussteigen von Fahrgästen, Bewegungen von Fahrgästen durch den Zug auf der Suche nach einem Sitzplatz oder auf dem Weg zur Toilette werden Mindestabstände (angesichts der beengten Verhältnisse in der Bahn) ständig unvorhersehbar unterschritten, so dass dem Ziel des Verordnungsgebers, mit dieser Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung eine gegen die Ausbreitung des SARS-Cov-2-Virus geeignete präventive Maßnahmen anzuordnen, auch deshalb nur dann erreicht werden kann, wenn diese vom Einzelnen – unabhängig von (versuchter) Einhaltung des Mindestabstandes von 1,5 Metern – während der gesamten Zeit des Aufenthaltes in diesen Orten einzuhalten ist. Soweit unter § 3 Abs. 2 Nr. 5 eine Ausnahme von der Verpflichtung zum Tragen einer MNB „bei der Inanspruchnahme von gastronomischen Dienstleistungen“ eingeräumt wird – was in der aktuellen Corona-VO vom 07.03.2021 unter § 3 Abs. 2 Nr. 5 weiter und klarer gefasst wurde („beim Konsum von Lebensmitteln“) – stellt dies ersichtlich im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine klar definierte Ausnahme von der grundsätzlichen Verpflichtung zum Tragen der MNB dar, die nach dem eindeutigen Wortlaut keinesfalls auch Gesichtspflege oder ähnliches umfasst, so dass sich die Frage der Anwendung des milderen Gesetzes auch insoweit nicht stellt.
Der Regelung in § 3 Abs. 2 Corona-VO in der zur Tatzeit gültigen Fassung, welche die Ausnahmen von der Verpflichtung zum Tragen einer MNB in den unter § 3 Abs. 1 Corona-VO bestimmten Orten im Einzelnen aufzählt, ist insgesamt hinreichend bestimmt zu entnehmen, für welche Personen und Umstände eine Ausnahme von der Verpflichtung zum Tragen einer MNB – insbesondere bei der Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs – besteht.
d. In dieser Auslegung steht das in § 3 Abs. 1 Corona-VO geregelte grundsätzliche Gebot zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen in bestimmten öffentlichen Bereichen mit Verfassungsrecht in Einklang und genügte insbesondere im hier verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Es bestehen vorliegend – auch wenn die Eignung einer MNB zur Verhütung einer Ansteckung mit dem Coronavirus durchaus fachlich umstritten gewesen sein mag – keine Anhaltspunkte, die die Wahl dieses Mittels zur Zweckerreichung durch den Verordnungsgeber fehlerhaft oder unvertretbar erscheinen lassen. Das Tragen einer Maske im öffentlichen Raum im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 – 4 Corona-VO ist vielmehr als ein Baustein, um den Infektionsdruck und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren und somit Risikogruppen zu schützen, sinnvoll. Diese Annahme beruht auf Untersuchungen, die belegen, dass ein relevanter Anteil von Übertragungen, von SARS-CoV-2 unbemerkt, d.h. zu einem Zeitpunkt vor dem Auftreten der ersten Krankheitszeichen erfolgt. Das Tragen einer MNB (Mund-Nasen-Bedeckung) bzw. eines MNS (Mund-Nasen-Schutzes) trägt dazu bei, andere Personen vor feinen Tröpfchen und Partikeln die man z.B. beim Sprechen, Husten oder Niesen ausstößt, zu schützen (Fremdschutz). Wichtig ist hierbei, dass Mund und Nase bedeckt sind und die Maske an den Rändern möglichst dicht anliegt. Für diesen Fremdschutz durch MNB gibt es inzwischen erste wissenschaftliche Hinweise (RKI, „Was ist beim Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung bzw. eines Mund-Nasen-Schutzes (“OP – Maske“) in der Öffentlichkeit zu beachten?“, FAQ unter https://www.rki.de, Stand 26.04.2021). Da der von einer solchen Reduktion der ausgeschiedenen Tröpfchen ausgehende Fremdschutz jedoch nur dann gewährleistet sein kann, wenn sich möglichst viele Personen daran beteiligen und eine Maske tragen, ist es plausibel, dass der Verordnungsgeber es als geboten ansah, das Tragen einer MNB – zumindest an Stellen im öffentlichen Raum mit ständig wechselndem Publikumsverkehr, in dem die Abstandsregelungen nicht immer bzw. sicher eingehalten werden können – verpflichtend vorzusehen. Vor dem Hintergrund dieser den aktuellen Erkenntnis- und Forschungsstand berücksichtigenden und nachvollziehbar begründeten Einschätzung konnte der Verordnungsgeber die Anordnung einer sog. Maskenpflicht für den öffentlichen Personenverkehr und Verkaufsstätten im verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt ohne Rechtsfehler als geeignetes Mittel zur Unterbindung von Infektionsketten ansehen (BayVGH, Beschluss vom 05.05.2020 – 20 NE 20.926 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.05.2020, 1 S 1314/20, – juris Rn. 30ff.).
Dem steht auch nicht entgegen, dass nunmehr für bestimmte Bereiche das Tragen von medizinischen oder FFP2-Masken vorgeschrieben ist, die einen besseren Schutz für den Träger bieten als nichtmedizinische (Alltags-)Masken, da auch Alltagsmasken zumindest einen gewissen Schutz dahingehend darstellen, dass Dritte vor vom Maskenträger beim Sprechen o.ä. ausgestoßenen Aerosolen geschützt werden („Was ist beim Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung bzw. eines Mund-Nasen-Schutzes (“OP – Maske“) in der Öffentlichkeit zu beachten?“, FAQ unter https://www.rki.de, Stand 26.04.2021). Die Wirksamkeit auch von Alltagsmasken zum Infektionsschutz ist mittlerweile auf Basis breiter, international gewonnener Erfahrungen in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen bestätigt worden. Soweit ersichtlich, haben dementsprechend sämtliche mit der Thematik befassten Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte die Geeignetheit des Tragens einer MNB zur Bekämpfung des Coronavirus bejaht (BeckOK InfSchR/Johann/Gabriel, 5. Ed. 1.5.2021, IfSG § 28a Rn. 12 m.w.N.).
Das Gebot des Tragens einer sogenannten Alltagsmaske war demnach zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet. Es war auch erforderlich, da nicht erkennbar ist, dass andere, weniger einschneidende Maßnahmen zur Verfügung standen, um im unvermeidlichen Bereich naher Kontakte die Gefahr einer Infektion zu reduzieren. Die Regelungen zur Verwendung einer MNB waren zudem angemessen. In Abwägung der Schwere des Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit und dem Gewicht der den Eingriff rechtfertigenden Gründe, stehen die Maßnahmen nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck. Den Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit, denen nach der verfassungsrechtlichen Ordnung ein Höchstwert bzw. besonderes Gewicht zukommt, ist gegenüber der nicht schrankenlos gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit bereits ein höherer Rang einzuräumen. Zwar führt die angeordnete Maßnahme unverkennbar zu einer Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit einer Vielzahl von Menschen, jedoch handelt es sich hierbei um Eingriffe von vergleichsweise geringer Intensität. So betrifft das Gebot, eine MNB zu tragen, für die Mehrzahl der Normadressaten nur kurze Zeiträume und lediglich bestimmte Alltagssituationen (ThürVerfGH, a.a.O.). Zudem werden die Konsequenzen dadurch abgemildert, dass Ausnahmen von der Pflicht zum Tragen einer MNB nach § 3 Abs. 2 Corona-VO für im einzelnen bestimmte Fälle zugelassen sind (zur voraussichtlichen Verfassungsmäßigkeit der Corona-VO i.d.F.v. 09.05.2020 in Bezug auf das grundsätzliche Gebot zum Tragen von MNB in bestimmten öffentlichen Bereichen vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.06.2020, 1 S 1739/20; zur voraussichtlichen Verfassungsmäßigkeit der Corona-VO i.d.F.v 13.02.2021 in Bezug auf Betriebsschließungen vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.02.2021, 1 S 398/21,- juris und zur voraussichtlichen Verfassungsmäßigkeit der Corona-VO i.d.F.v. 22.02.2021 in Bezug auf die angehobenen Anforderungen der Mund-Nasen-Schutz-Bedeckung vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.02.2021, 1 S 381/21,- juris, jeweils m.w.N.).
Abschließend ist festzuhalten, dass die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht) nach § 28a Nr. 2 IfSG (i.d. ab 31.03.2021 geltenden Fassung) trotz anfänglicher Zurückhaltung (auch des RKI, vgl. etwa „https://www.tagesschau.de/inland/kommentar-rki-mundschutz-101. html“) mittlerweile einen zentralen Baustein im Gesamtkonzept der staatlichen Hoheitsträger zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus bildet. Sie stellt – so der Bundesgesetzgeber – eine notwendige und einfache Schutzmaßnahme dar. Der mit der Maskenpflicht verbundene grundsätzlich sehr geringe Eingriff in die Handlungsfreiheit der Betroffenen sei angesichts des überragend wichtigen Ziels des Infektionsschutzes bei steigenden Infektionszahlen hinzunehmen (BT-Drs. 19/23944, 32; BeckOK InfSchR/Johann/Gabriel, 5. Ed. 1.5.2021, IfSG § 28a Rn. 10). Die Einordnung als „klarstellende Erweiterung“ spricht dafür, dass aus der Ergänzung der Regelbeispiele auch nicht geschlossen werden kann, die bisherige Ermächtigungsgrundlage in § 28 Abs. 1 IfSG hätte den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG nicht genügt (Hamburgisches OVG, Beschluss vom 18.11.2020 – 5 Bs 209/20 -, juris). Als nachträgliche Änderung bleiben die Ermächtigungen des § 28a IfSG ohne Einfluss auf den Rechtsbestand der vor seinem Inkrafttreten ordnungsgemäß erlassenen Rechtsverordnung (BVerfGE 14, 245; Sächsisches OVG, Beschluss vom 26.11.2020 – 3 B 374/20 -, juris Rn. 17; BeckOK InfSchR/Johann/Gabriel, 5. Ed. 1.5.2021, IfSG § 28a Rn. 3.1).
e. Auch die entsprechenden Bußgeldtatbestände, durch die Verstöße gegen die in der Verordnung vorgeschriebenen Handlungsweisen geahndet werden, sind verfassungsgemäß. Soweit der Thüringische Verfassungsgerichtshof (a.a.O.) diesbezüglich (bei Verstößen gegen das Abstandsgebot) zu der abweichenden Auffassung gelangt und annimmt, dass die (entsprechenden thüringischen) Bußgeldvorschriften wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG verfassungswidrig seien, überzeugt die Entscheidung nicht (vgl. Schmidt/ Rau COVID-19, Rechtsfragen zur Coronakrise, 3. Aufl. 2021, § 23, Rn. 21a, zitiert nach Beck online; Senat, Beschluss vom 25.03.2021, 2 Rb 34 Ss 2/21,- juris). An dieser Überzeugung des Senats vermag auch die inzwischen erfolgte Vorlage an das BVerfG durch den Thüringer Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 19.05.2021, VerfGH 110/20,- juris nichts zu ändern. Die Begründung, dass es sich bei § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG (in der bis 18.11.2020 geltenden Fassung) um ein Blankettgesetz handle, aus dem sich nicht unmittelbar ergebe, welches Verhalten konkret untersagt ist, der parlamentarische Gesetzgeber aber die Festlegung konkret untersagter Verhaltensweisen nicht dem Verordnungsgesetzgeber hätte überlassen dürfen, trägt den Besonderheiten der hochdynamischen tatsächlichen Entwicklung im Rahmen der Corona-Pandemie nicht Rechnung. Aufgrund dieser besonderen Dynamik, die mit in kurzer Zeit stark ansteigenden Infektionszahlen und einer drohenden Überlastung des gesamten Gesundheitssystems und insbesondere der Intensivstationen einherging, sowie deren Beispiellosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, durften aufgrund von übergeordneten Gründen des Gemeinwohls für einen begrenzten Zeitraum nicht hinnehmbare, erst jetzt als solche erkannte gravierende Regelungslücken auf der Grundlage von Generalklauseln geschlossen werden (OVG Münster, Beschluss vom 06.04.2020, 13 B 398/20.NE, -, juris, Rn, 59 ff m.w.N.). Dies muss auch im Hinblick auf die Bußgeldtatbestände gelten, da ansonsten Verstöße gegen (verfassungsgemäß) in der Corona-VO festgelegte Verhaltensvorschriften folgenlos bleiben würden und zu besorgen wäre, dass die Bürger sich mangels drohender Sanktion nicht (mehr) an die Einhaltung der für das Gemeinwohl essentiellen Verhaltensregeln gebunden fühlen und ihr im Hinblick auf die Pandemieentwicklung gemeinschädliches Verhalten fortsetzen bzw. wiederaufnehmen würden (in diesem Sinne auch Schmidt/Rau in COVID-19, Rechtsfragen zur Coronakrise, a.a.O., Rn. 21a). Der begrenzte Zeitraum, in dem § 28 Abs. 1 lfSG (in der zur Tatzeit geltenden Fassung) als ausreichende Ermächtigungsgrundlage auch für in landesrechtlichen Verordnungen enthaltene Bußgeldtatbestände anzuerkennen ist, wurde ohnehin durch Inkrafttreten von § 28a IfSG zum 19.11.2020 beendet, sodass sich schon hieraus der vorübergehende Charakter der im Normalfall (möglicherweise) unzureichenden, im vorliegenden Ausnahmefall aber als ausreichend anzusehenden Regelung ergibt.
e) Die im Ergebnis auf diesen rechtlichen Grundlagen getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts tragen im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe die Verurteilung der Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Gebot des Tragens einer nichtmedizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Personenverkehr gemäß §§ 73 Abs. 1a Nr. 24 i.V.m. 32, 28 Abs. 1 S.1 IfSG und § 19 Nr. 2 i.V.m. 3 Abs. 1 Nr. 1 CoronaVO vom 23.06.2020 in der zur Tatzeit gültigen Fassung vom 22.09.2020.
Das Amtsgericht ging rechtsfehlerfrei davon aus, dass während des Aufenthalts der Betroffenen in der Straßenbahn das festgestellte Entfernen von Barthaaren bei heruntergezogener MNB nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO untersagt und nach § 19 Nr. 2 Corona-VO bußgeldbewehrt war. Nähere Feststellungen zur Dauer des Verstoßes oder der weiteren Umstände am Tatort, wie etwa die Einhaltung des Abstandes zu anderen Fahrgästen in der Straßenbahn, waren nach der oben dargestellten Auslegung von § 3 Corona-VO nicht zwingend erforderlich. Die in § 3 Abs. 2 Corona-VO normierten Ausnahmetatbestände greifen beim festgestellten Verhalten der Betroffenen (Praktizieren von Gesichtspflege in der Straßenbahn) ersichtlich nicht. Nach den maßgeblichen Feststellungen des Amtsgerichts ist insbesondere weder der Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 5 Corona-VO – „bei Inanspruchnahme von gastronomischen Dienstleistungen“ – noch der Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 6 Corona-VO – „wenn ein anderweitiger mindestens gleichwertiger Schutz für andere Personen gegeben ist“ (zur Auslegung vgl. oben) – erfüllt. Auf den (Mindest-)Abstand zu anderen Personen während des Aufenthalts in der Straßenbahn kommt es nach der klaren und abschließenden Regelung in § 3 Abs. 2 Corona-VO, die auch in den späteren Fassungen insoweit nicht geändert wurde, nicht an.
Die (nicht nachvollziehbare) Annahme fahrlässiger Begehungsweise durch das Amtsgericht beinhaltet keinen sich zu Lasten der Betroffenen auswirkenden Rechtsfehler. Der Schuldspruch war indes wie aus dem Tenor ersichtlich zu berichtigen. Das Herabziehen der MNB unter das Kinn während des Aufenthaltes in der Straßenbahn, um mit einer Pinzette Barthaare zu zupfen, erfolgte mit Wissen und Wollen der Betroffenen und somit vorsätzlich. Die vom Amtsgericht getroffene Feststellung, „bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte die Betroffene ihr Fehlverhalten erkennen können und müssen“, ist im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe dahin zu verstehen, dass der Betroffenen das Verbotene ihrer Handlung nicht bewusst war, der entsprechende Irrtum jedoch vermeidbar war. Dies hat als Verbotsirrtum gem. § 11 Abs. 2 OWiG keinen Einfluss auf die subjektive Tatseite (Vorsatz/Fahrlässigkeit), sondern lässt nur im Falle des nicht vermeidbaren Verbotsirrtums die Vorwerfbarkeit entfallen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11.03.2008 – 3 Ss OWi 687/07 -, juris; Gürtler in Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 11 Rn. 19 ff. m.w.N.). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein Irrtum nur dann unvermeidbar, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige nicht zu gewinnen vermochte; im Zweifel trifft ihn eine Erkundigungspflicht (BGH NStZ 1996, 338, 339; KK-OWiG/Rengier, 5. Aufl. 2018, OWiG § 11 Rn. 57 m.w.N.). Nach dem festgestellten Sachverhalt und der Einlassung der Betroffenen war der Irrtum vermeidbar, zumal der Betroffenen bekannt war, dass sie zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung während des Aufenthaltes in der Straßenbahn verpflichtet war und diese Verpflichtung – unabhängig vom Mindestabstand – nur in definierten Einzelfällen, wie „zum Essen und Trinken“ („Inanspruchnahme von gastronomischen Dienstleistungen“), aufgehoben war, und ihr Verhalten in keiner Weise der Nahrungsaufnahme diente. Zudem war der Betroffenen auch die hohe Ansteckbarkeit und Gefährlichkeit des SARS-CoV-2-Virus bekannt. Schließlich bestand die Pflicht zum Tragen von MNB zum Schutz anderer Personen vor einer Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus im öffentlichen Personennahverkehr zum Tatzeitpunkt am 30.09.2020 bereits seit annähernd fünf Monaten, wurde auf den Bahnsteigen und den Bahneinstiegen angezeigt und in allen Medien ausführlich dargestellt und besprochen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – Corona-VO) vom 17.03.2020 in der ab 04.05.2020 gültigen Fassung).
B.
Gegen die – nur beschränkt vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbare (siehe nur Senat, Beschluss vom 17.07.2015 – 2 (7) SsBs 212/15 -, juris) – Beweiswürdigung des Amtsgerichts, welche maßgeblich auf den im Urteil hinreichend wiedergegebenen Angaben der Betroffenen beruht, ist rechtlich nichts zu erinnern.
C.
Soweit sich die Rechtsbeschwerde auch gegen den Rechtsfolgenausspruch richtet, hat sie den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
Grundsätzlich liegt die Bemessung der Rechtsfolgen im Ermessen des Tatgerichts und die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht beschränkt sich lediglich darauf, ob dieses von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Gemessen daran hält die Begründung, mit der das Amtsgericht die Rechtsfolge einer Geldbuße von 100,- Euro angeordnet hat, einer rechtlichen Überprüfung allerdings nicht stand. Der Rechtsfolgenausspruch ist – unbeschadet des nur eingeschränkten Prüfungsmaßstabs des Rechtsbeschwerdegerichts – fehlerhaft, da das Amtsgericht bei der Festsetzung der Geldbuße von der rechtlich unzutreffenden Erwägung ausgeht, dass der zum Tatzeitpunkt geltende Bußgeldkatalog für Ordnungswidrigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz in Zusammenhang mit der Corona-VO des Landes Baden-Württemberg für den angenommenen fahrlässigen Verstoß eine Regelbuße von 100,- Euro vorsehe.
Der Ahndungsrahmen des § 73 Abs. 2 Alt. 2 IfSG vom 20.07.2000 in der Fassung vom 27.03.2020 sieht bei Verstößen gegen § 73 Abs. 1 a) Nr. 24 IfSG als Höchstsatz für vorsätzliche Ordnungswidrigkeiten Geldbußen bis zu 25.000,- Euro und von 12.500,- Euro für fahrlässige Verstöße (nach § 17 Abs. 2 OWiG) vor, wobei der Mindestsatz bei 5,- Euro liegt (§ 17 Abs. 1 OWiG).
Der Bußgeldkatalog für Ordnungswidrigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz im Zusammenhang mit der Corona-VO in der Fassung vom 30.09.2020, der insoweit mit der Fassung vom 03.09.2020 identisch ist, sieht auf dieser Grundlage zwar unter I. für die Nichteinhaltung der Verpflichtung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen bei der Nutzung des öffentlichen und des touristischen Personenverkehrs (§ 19 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO) einen Bußgeldrahmen von 100-250 Euro und einen Regelsatz von 100,- Euro vor, jedoch führt der Verordnungsgeber unter II. u.a. in Bezug auf einen fahrlässigen Verstoß aus:
„In dem vorstehenden Bußgeldkatalog werden Bußgeldrahmen und Regelsätze für die Bußgeldhöhe bei vorsätzlicher Begehungsweise und einem Erstverstoß genannt, um einen einheitlichen Vollzug bei der Verfolgung und Ahndung der Verstöße zu erreichen. …Bei fahrlässiger Begehung ist der Bußgeldrahmen und der jeweilige Regelsatz zu halbieren (vgl. § 17 Abs. 2 OWiG). Es ist zu berücksichtigen, ob ein Erstverstoß oder ein Folgeverstoß vorliegt…“
Da das Amtsgericht einen fahrlässigen Verstoß angenommen und ausdrücklich (formelhaft) „keine Veranlassung“ für ein Abweichen von der „Regelgeldbuße“ gesehen hat, hätte es demnach bei Festsetzung der Geldbuße von einer Regelgeldbuße von 50,- Euro ausgehen und diese verhängen müssen.
Die fehlerhafte Begründung des Bußgeldausspruchs durch das Amtsgericht nötigt jedoch nicht dazu, diesen Ausspruch aufzuheben und insoweit die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Der Senat macht gemäß § 79 Abs. 6 OWiG von der Möglichkeit Gebrauch, in der Sache selbst zu entscheiden, weil eine Sachentscheidung den Vorrang vor einer Zurückverweisung hat und weitere für den Rechtsfolgenausspruch bedeutsame Feststellungen weder erforderlich noch zu erwarten sind. Stellt das Rechtsbeschwerdegericht Rechtsfehler bei der Begründung des Rechtsfolgenausspruchs fest, so kann es über die Angemessenheit der Geldbuße selbst entscheiden (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, OWiG § 79 Rn. 159). Wie oben dargestellt betrug die Regelgeldbuße für den vorsätzlichen Verstoß zur Tatzeit 100,- Euro und für einen fahrlässigen Verstoß 50,- Euro. Inzwischen beträgt die Regelbuße für den vorsätzlichen Verstoß 70,- Euro (vgl. oben II. 2. A a)). Zur tat- und schuldangemessenen Ahndung der Zuwiderhandlung der Betroffenen, einer 82 Jahre alten Rentnerin, setzt der Senat gegen diese unter Berücksichtigung der in § 17 Abs. 3 OWiG festgelegten Zumessungsgrundlagen – auch vor dem Hintergrund, dass der Gedanke der Milderung nach § 17 Satz 2 StGB im Ordnungswidrigkeitenrecht entsprechend gilt und bei der Bußgeldbemessung zu erwägen ist (KK-OWiG/Rengier, 5. Aufl. 2018, OWiG § 11 Rn. 125 m.w.N.; Göhler, a.a.O., § 11 Rn. 29) – eine Geldbuße in Höhe von 70,- Euro fest. Da der Irrtum der Betroffenen letztlich darauf beruhte, dass sich die Betroffene über jegliche Erkundigungspflicht leichtfertig hinweggesetzt hat, ist eine weitere Herabsetzung der Geldbuße trotz Irrtums nicht geboten (vgl. BeckOK OWiG/Sackreuther, 30. Ed. 1.4.2021, OWiG § 17 Rn. 66 m.w.N.). Neben der Beachtung des Verschlechterungsverbots erlangt in der Gesamtabwägung zudem Bedeutung, dass die Betroffene – was sich zuletzt in ihrer Gegenerklärung vom 09.03.2021 widerspiegelt – im vorliegenden Fall durchschnittlichen Gewichts bis heute (insb. auch trotz des Erhalts der ausführlich auf die von der Betroffenen aufgeworfenen Rechtsfragen eingehenden Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft) keinerlei Einsicht in ihr Fehlverhalten zeigt.
III.
Da die Betroffene ihren Zulassungsantrag uneingeschränkt eingelegt, dieser aber nur im Hinblick auf die Höhe der Geldbuße einen geringen Teilerfolg hat, hält der Senat es für angemessen, die Gebühr um ein Drittel zu ermäßigen und insoweit auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Die Kostenentscheidung folgt insoweit aus § 473 Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG.
OLG Karlsruhe Beschluß vom 11.6.2021, 2 Rb 35 Ss 94/21