In dem vom OLG Karlsruhe am 5.2.2021 entschiedenen Verfahren 2 Ws 27/21 hatte der Verteidiger des Angeschuldigten Rechtsmittel gegen die Gewährung von Akteneinsicht an den Anwalt des Nebenklägers eingelegt.
Das OLG hat die Beschwerde jedoch als unbegründet verworfen und diesbezüglich folgende Leitsätze aufgestellt:
- Gegen die Gewährung von Akteneinsicht an den Nebenklägervertreter ist die Beschwerde eröffnet.
- Die Entscheidung unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung durch das Beschwerdegericht.
- Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks durch Gewährung von Akteneinsicht an den Nebenklägervertreter ist auch bei einer Ausage-gegen-Aussage-Konstellation regelmäßig auszuschließen, wenn der Nebenklägervertreter zusagt, die Akte der vertretenen Person nicht zugänglich zu machen (Anschluss an OLG Braunschweig).
Die Entscheidung im Volltext:
Die Beschwerde des Angeschuldigten gegen die Verfügung des Landgerichts Freiburg vom 28.12.2020 wird aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, kostenpflichtig (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft Freiburg hat wegen des Vorwurfs, die Verletzte – die sich dem Verfahren als Nebenklägerin angeschlossen hat – vergewaltigt zu haben, gegen den Angeschuldigten Anklage zum Landgericht Freiburg erhoben. Bereits im Ermittlungsverfahren wurde der Nebenklägervertreterin – ohne Anhörung des Beschuldigten – Akteneinsicht gewährt. Mit Schriftsatz vom 15.12.2020 beantragte die Nebenklägervertreterin ergänzende Akteneinsicht, die der Vorsitzende der nunmehr zuständigen Strafkammer des Landgerichts Freiburg nach Anhörung des Angeschuldigten mit der angefochtenen Verfügung gewährt hat. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeschuldigten.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die angefochtene Entscheidung unterliegt der einfachen Beschwerde (§ 304 StPO), § 305 Satz 1 StPO findet keine Anwendung (BGHSt 39, 112; KG NStZ 2016, 438; 2019, 110; OLG Hamburg NStZ 2015, 105).
2. Entgegen der vom Angeschuldigten vertretenen Auffassung ist die begehrte Akteneinsicht, auf die die Verletzte gemäß § 406e Abs. 1 StPO einen Anspruch hat, nicht gemäß § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO zu versagen, weil durch die Akteneinsicht der Untersuchungszweck gefährdet erscheint.
a) Auch wenn dem Vorsitzenden bei seiner Entscheidung darüber, ob einem Akteneinsichtsbegehren § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO entgegensteht, ein weiter Ermessensspielraum zusteht (BGH NJW 2005, 1519; OLG Schleswig StraFo 2016, 157), ist der Senat nicht auf eine Prüfung der angefochtenen Entscheidung auf Ermessensfehler beschränkt. Vielmehr hat er – mangels abweichender gesetzlicher Regelung – gemäß § 309 Abs. 2 StPO als Beschwerdegericht selbst die in der Sache gebotene Entscheidung zu treffen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 309 Rn. 3; KK-Zabeck, StPO, 8. Aufl., § 309 Rn. 6).
b) Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks ist zwar auch dann anzunehmen, wenn die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt die Zuverlässigkeit und den Wahrheitsgehalt einer von ihm noch zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigen könnte (BT-Drs. 10/5305 S. 18). Entgegen der vom Oberlandesgericht Hamburg (a.a.O.; StraFo 2016, 210) vertretenen Auffassung ist aber auch in Verfahrenskonstellationen, in der der Aussage des Verletzten für die Wahrheitsfindung besondere Bedeutung zukommt – namentlich wenn allein seine Aussage gegen die des Beschuldigten steht (oder sich dieser – wie vorliegend – nicht zur Sache einlässt) – nicht generell davon auszugehen, dass eine Beeinflussung der Aussage durch die Gewährung von Akteneinsicht zu besorgen ist. Vielmehr ist auch dann eine Betrachtung der Umstände des Einzelfalls geboten (BGH NStZ 2016, 367; KG a.a.O.; OLG Braunschweig NStZ 2016, 629). Ungeachtet der Frage, ob die begehrte weitere Akteneinsicht schon deshalb nicht mehr den Untersuchungszweck gefährden kann, weil die wesentlichen Ermittlungsergebnisse bereits durch die im Ermittlungsverfahren gewährte Akteneinsicht offenbart worden sind, schließt sich der Senat der Auffassung des Oberlandesgerichts Braunschweig (a.a.O.) an, dass jedenfalls die Zusage des mit der Akteneinsicht betrauten Rechtsanwalts, die Akte dem Verletzten nicht zugänglich zu machen, geeignet ist, eine Beeinflussung der Aussage des Verletzten und damit eine Gefährdung des Untersuchungszwecks auszuschließen. Eine entsprechende Zusage hat die Vertreterin der Nebenklägerin vorliegend gemacht.