In dem vom OLG Karlsruhe am 4.11.2019 entschiedenen Verfahren (2 Rv 34 Ss 714/19) hatte der spätere Angeklagte in einer E-Mail die u.a. an das Amtsgericht gerichtet war folgendes ausgführt: „Wenn Richter, wie die des Staatsgerichtshofs Stuttgart zu 1 VB 60/14 den berechtigten Grund einer Verfassungsbeschwerde gegen nicht vorgebrachte und auch Beschwerde untaugliche Gründe substituieren, so erinnert das – und das Verhalten von X. – an die NAZI Rechtsprechung im sog. Dritten B..“
Das Amtsgericht hatte den E-Mail-Schreiber wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 25 EUR verurteilt.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht Heidelberg mit Urteil vom 15.07.2019 (9 Ns 220 Js 9562/17), wobei es eine Beleidigung alleine noch in dem Vergleich des Richters mit den Angehörigen der NS-Justiz sah.
Auf die Revision des Angeklagten hat das OLG Karlsruhe das Urteil des Landgerichts Heidelberg aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.
Es stellt zu seiner Entscheidng folgenden Leitsatz auf:
Aus den Entscheidungsgründen:
[…]
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 15.07.2019 aufgehoben und der Angeklagte M. freigesprochen.
2. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse. Gründe
I. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Wiesloch vom 22.02.2017 (6 Cs 220 Js 9562/17) wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den nicht vorbestraften, jetzt 76 Jahre alten Rentner M. wegen Beleidigung eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40 EUR festgesetzt. Darin wurde ihm vorgeworfen, am 11.04.2017 im Rahmen eines beim Amtsgericht Wiesloch anhängigen Zivilrechtsstreits in einem an das Gericht gerichteten Schreiben folgende Aussagen über Richter am Amtsgericht X. getroffen zu haben: „Wenn Richter in Deutschland lügen, also wissentlich die Unwahrheit äußern, wie X., ist die Rechtssicherheit unseres vorbildlichen Rechtssystems in erheblicher Gefahr“ und „wenn Richter, wie [die des] Staatsgerichtshofs Stuttgart zu 1 VB 60/14 den berechtigten Grund einer Verfassungsbeschwerde gegen nicht vorgebrachte und auch Beschwerde untaugliche Gründe substituieren, so erinnert das – und das Verhalten von X. – an die NAZI Rechtsprechung im sog. Dritten Reich“.
Auf den Einspruch des Angeklagten wurde Termin zur Hauptverhandlung auf den 30.01.2019 bestimmt, an deren Ende er wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 25 EUR verurteilt wurde.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht Heidelberg mit Urteil vom 15.07.2019 (9 Ns 220 Js 9562/17), wobei es eine Beleidigung alleine noch in dem Vergleich des Richters mit den Angehörigen der NS-Justiz sah.
Zur Vorgeschichte der Tat traf die Strafkammer – zusammengefasst – folgende Feststellungen:
Der Angeklagte war ab 2012 in einen Rechtsstreit mit einem in Y. ansässigen Auktionshaus verwickelt. Ein in diesem Zusammenhang auf eine Strafanzeige eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Heidelberg eingestellt. Einer dagegen gerichteten Beschwerde gab die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe keine Folge. Dabei erregte es das Misstrauen des Angeklagten, dass er den damals sachbearbeitenden Staatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft dort später nicht ausfindig machen konnte. Nachdem ihm der Generalstaatsanwalt mitteilte, dass der betreffende Staatsanwalt nicht mehr dort tätig sei, vermutete der Angeklagte ein gegen ihn gerichtetes Komplott.
Im Rahmen eines mit dem Auktionshaus 2013 vor dem Amtsgericht Wiesloch ausgetragenen Rechtsstreits wurden dem Angeklagten, der dort als Kläger auftrat, erstinstanzlich rund 2.500 EUR zugesprochen. Als der Angeklagte über ein Jahr später, nämlich am 12.09.2014 das Geld beim Auktionshaus einforderte, erhielt er lediglich eine elektronische Textnachricht mit dem Inhalt „Das hätten Sie gerne, Idiot“. Darauf strengte der Angeklagte beim Amtsgericht Wiesloch eine weitere Klage gegen den Inhaber des Auktionshauses an mit dem Ziel, ihn bei Vermeidung der Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht als Idioten zu bezeichnen. Dieser bestritt, Urheber der Textnachricht gewesen zu sein.
Im Rahmen des neuen Zivilprozesses kamen dem zuständigen Richter Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten im Hinblick auf eine von diesem betriebene Internetseite, mit der er angebliche Straftaten von Angehörigen der baden-württembergischen Justiz aufdecken wollte. Seine Zweifel teilte der Richter auch im Rahmen einer mündlichen Verhandlung am 27.05.2015 in Anwesenheit des Angeklagten mit und kündigte an, beim zuständigen Betreuungsgericht die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung anzuregen. Tatsächlich versandte der Richter in der Folge ein Aktendoppel an das für den Wohnsitz des Angeklagten zuständige Betreuungsgericht und begründete die Vorlage u. a. damit, dass das Verhalten des Angeklagten „stark an paranoide oder querulatorische Fehlverarbeitungen von Geschehensabläufe“ erinnere. Ein Doppel der genannten Verfügung leitete der Richter auch dem Landgericht Heidelberg zu, wo ein weiteres Zivilverfahren zwischen dem Angeklagten und dem Inhaber des Auktionshauses anhängig war.
Das Betreuungsgericht lehnte die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung mangels Notwendigkeit ab.
Aufgrund der Zuleitung der genannten Verfügung an das Landgericht Heidelberg lehnte der Prozessbevollmächtigte des Angeklagten den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dem Antrag gab das Amtsgericht nicht statt.
Aus Verärgerung über das Verhalten des Richters versandte der Angeklagte am 29.11.2015 eine elektronische Textnachricht an das Justizministerium Baden-Württemberg, die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, die Staatsanwaltschaft Heidelberg, das Amtsgericht Wiesloch und weitere Bundes- bzw. Landesbehörden. Darin warf er verschiedenen Justizangehörigen kriminelles Handeln und rechtswidriges Zusammenwirken mit dem Beklagten vor. Unter anderem brachte er seine Verärgerung über den für das Zivilverfahren vor dem Amtsgericht Wiesloch zuständigen Richter wegen des Anzweifelns seiner Verhandlungsfähigkeit zum Ausdruck.
Der Zivilprozess vor dem Amtsgericht Wiesloch geriet in den folgenden Jahren wegen vom Angeklagten wiederholt gegen den Richter gestellter Befangenheitsanträge ins Stocken. Die jeweils für die Entscheidung über die Anträge zuständige Richterin lehnte diese sämtliche – zuletzt am 14.08.2018 – ab.
Zur Tat selbst traf das Landgericht folgende Feststellungen: »Mit Schriftsatz vom 24.11.2016 lehnte der Angeklagte die beim Amtsgericht Wiesloch beschäftigte Richterin am Landgericht A., die bis dahin gegen Richter am Amtsgericht X. gerichtete Ablehnungsgesuche bearbeitet hatte, ebenfalls wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dieses Gesuch lehnte die nunmehr zuständige Richterin am Amtsgericht B. durch Beschluss vom 20.01.2017 ab, der dagegen eingelegten sofortigen Beschwerde half sie durch weiteren Beschluss vom 07.04.2017 nicht ab.
Obwohl sie damit in der Sache nicht weiter befasst war, was dem Angeklagten auch aufgrund des bisherigen Verfahrensablaufs und nicht zuletzt deshalb bewusst war, weil er zwischenzeitlich mit Schreiben vom 05.02.2017 erklärt hatte, seinen Befangenheitsantrag gegen Richterin A. nicht mehr aufrechtzuerhalten, verfasste er am 11. April 2017 in seiner Wohnung in eine E-Mail mit folgendem Wortlaut, wobei das Original die nachfolgende Hervorhebung in Fettdruck nicht enthält:
„Sehr geehrte Frau Richterin am Amtsgericht Wiesloch B., da das Gerichtsfax mehrfach besetzt ist, erhalten Sie mein heutiges Schreiben auch als Datei Anhang. Ich bitte darum aufgrund der Bemerkungen weiter unten zum post scriptum auch dieses Emailschreiben der Akte zuzuführen und mit an das weiter bearbeitende Landgericht Heidelberg zu leiten. Mit freundlichen Grüßen, M. PS Wenn Richter in Deutschland lügen, also wissentlich die Unwahrheit äußern, wie X., ist die Rechtssicherheit unseres vorbildlichen Rechtssystems in erheblicher Gefahr. Wenn ein Staatsanwalt wie C. ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, in einem Bescheid erklären kann, dass zwischen dem 23. und 30. eines Monats mehr als 14 (vierzehn) Tage liegen, um eigentumsdeliktische Straftaten aus Habgier zu vereiteln, an denen möglicherweise hochrangige Vorgesetzte beteiligt sind, ist das schlichtweg kriminell. Wenn ein “Phantom“ Staatsanwalt erfunden wird, um rechtswidrig rechtswidrigen Bescheid hierzu zu fertigen ist auch das schlichtweg kriminell zu nennen. Staatsanwälte sollen Verbrechen und Straftaten aufklären und nicht begehen. Ein Generalstaatsanwalt wie D., der zur Personalie des nicht in seiner Behörde existierenden Phantom Staatsanwalts lügt, muss dringende Gründe für ein solches Verhalten haben, die möglicherweise sogar in der weiteren Vergangenheit vor dem August 2012 liegen könnten. Wenn Richter, wie die des Staatsgerichtshofs Stuttgart zu 1 VB 60/14 den berechtigten Grund einer Verfassungsbeschwerde gegen nicht vorgebrachte und auch Beschwerde untaugliche Gründe substituieren, so erinnert das – und das Verhalten von X. – an die NAZI Rechtsprechung im sog. Dritten ..
So habe ich es auch mit CC an das Justizministerium von Baden-Württemberg unserer Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel und anderen Amtsträgern übermittelt. Schämt sich hier wirklich niemand? Hat hier niemand rechtsethische Bedenken?“
Diese E-Mail versandte der Angeklagte am 11. April 2017 um 16:28 Uhr an das Amtsgericht Wiesloch (Poststelle) mit dem Betreff „2C158/14 z.Hd. Frau Richterin am Amtsgericht B.“.
Die E-Mail wurde von der Poststelle an Richterin am Amtsgericht B. sowie den zuständigen Richter am Amtsgericht X. weitergeleitet, was der Angeklagte auch erwartet hatte. Ferner wurde sie – entsprechend den dienstlichen Pflichten und dem ausdrücklichen Wunsch des Angeklagten – zu den Akten genommen.
Mit den auf Richter am Amtsgericht X. bezogenen Äußerungen wollte der Angeklagte diesen in seinem Ehranspruch verletzen und seine Missachtung ausdrücken.«
Gegen das landgerichtliche Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gerügt wird. Die Generalstaatsanwaltschaft hält das Rechtsmittel für begründet und beantragt zuletzt, den Angeklagten unter Aufhebung des angegriffenen Urteils freizusprechen.
II.
Die Revision ist zulässig und hat mit der Sachrüge aus den im Folgenden dargestellten Gründen den tenorierten Erfolg, weshalb es keines weiteren Eingehens auf sonst erhobene Rügen bedarf.1.
In revisionsrechtlich zu beanstandender Weise hat das Landgericht angenommen, dass sich der Angeklagte aufgrund des angestellten Vergleichs des Verhaltens des Richters mit der NS-Justiz wegen einer Beleidigung gem. § 185 StGB strafbar gemacht hat.a) Bei einer Beleidigung handelt es sich um die Kundgabe von Nichtachtung oder Missachtung gegenüber einem anderen in der Weise, dass dem Betroffenen – sei es durch Äußerung eines herabsetzenden Werturteils unmittelbar diesem gegenüber, sei es durch Äußerung eines solchen in Bezug auf diesen einer dritten Person gegenüber – der ethische, personale und soziale Geltungswert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch dessen grundsätzlich uneingeschränkter Ehr- und Achtungsanspruch verletzt oder gefährdet wird (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.09.2015 – 1 (8) Ss 654/14 – AK 249/14 -, juris Rn. 6 m.w.N.; Urteil vom 19.07.2012 – 1 (8) Ss 64/12 – AK 40/12 -, juris Rn. 10). Ob dies der Fall ist, ist unter Heranziehung aller äußeren und – soweit nach außen hervortretenden – inneren Umständen des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Situation, in der es zu der Äußerung kam, der Art der Beziehung, die zwischen den Beteiligten besteht, sowie der Milieuzugehörigkeit des Tatverdächtigen durch Bestimmung des objektiven Sinngehalts der Äußerung zu ermitteln (OLG Karlsruhe aaO). Dabei ist bereits bei der Subsumtion das Grundrecht der Meinungsfreiheit zu berücksichtigen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.05.2018 – 1 BvR 1149/17 -, juris Rn. 9; OLG Karlsruhe aaO).
Vorliegend hat das Landgericht zutreffend erkannt, dass die Passage, das Verhalten des fraglichen Richters erinnere an die Rechtsprechung der NS-Justiz, ein Werturteil und nicht eine reine Tatsachenbehauptung darstellt, welche grundsätzlich nicht unter dem Schutz der Meinungsfreiheit steht (Valerius in BeckOK StGB, Stand: 01.08.2019, § 193, Rn. 27; Hilgendorf in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 185 Rn. 2). Bereits die Formulierung, dass ihn das Verhalten des Richters an die NS-Justiz erinnere, macht deutlich, dass es sich hier um eine subjektive Bewertung und nicht eine reine Tatsachenfeststellung handelt.
Bei der Anwendung der eingangs aufgeführten Grundsätze ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht auch davon auszugehen, dass der bewusst gewählte Vergleich des Verhaltens des Richters mit der Judikative in der NS-Diktatur eine Herabwürdigung und Ehrverletzung des Betreffenden darstellt und den Tatbestand der Beleidigung erfüllt. Die Rechtsprechung der deutschen Justiz in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wird allgemein mit nur vordergründig an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierten, willkürlichen, überzogenen und der Durchsetzung der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus dienenden Entscheidungen in Verbindung gebracht. Die damals entscheidenden Richter gelten keinesfalls als unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sondern als willfährige Gehilfen eines verbrecherischen Systems (vgl. etwa Ostendorf in Informationen zur politischen Bildung, Heft 248: Kriminalität und Strafrecht). Auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs und bei Wahl der für den Angeklagten günstigsten Auslegung ist daher in der Herstellung eines Zusammenhangs zwischen den Justizapparat der NS-Diktatur und dem Verhalten des Richters, das damit als bewusst menschenverachtend gebrandmarkt wird, der objektive und subjektive Tatbestand einer Beleidigung erfüllt.
b) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zur Tat tragen eine Verurteilung wegen Beleidigung dennoch nicht. Die fragliche Äußerung ist vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt und damit gem. § 193 StGB nicht strafbar.
aa) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht angenommen, dass hier von einer Schmähkritik auszugehen ist. Eine solche ist regelmäßig nicht von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 -, juris Rn. 18; stattgebender Kammerbeschluss vom 29.06.2016 – 1 BvR 2646/15 -, juris Rn. 13 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund müssen für die Annahme einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik strenge Maßstäbe angelegt werden (BVerfG aaO). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine demokratisch organisierte Gesellschaft, in der gerade die – auch scharfe – Kritik an staatlichem Handeln ohne Furcht vor Sanktionen von besonderer Bedeutung ist und möglich sein muss (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 06.06.2017 – 1 BvR 180/17 -, juris Rn. 12 ; – 1 BvR 2433/17 – aaO, Rn. 17). Eine Beschränkung auf das erforderliche Maß darf hierbei nicht verlangt werden (BVerfG – 1 BvR 2433/17 – aaO, Rn. 17). Abgesehen davon wird in den seltensten Fällen eine im Rahmen einer öffentlichen Auseinandersetzung gemachte Äußerung als Schmähkritik anzusehen sein (BVerfG – 1 BvR 1149/17 – aaO, Rn. 7 m.w.N.). Daneben darf auch Kritik an bereits abgeschlossenen Verfahren geübt werden (BVerfG – 1 BvR 180/17 – aaO, Rn. 14), so dass es nicht darauf ankommt, in welchem Stadium sich das Verfahren wegen der Richterablehnung befand, als die verfahrensgegenständliche Äußerung gemacht wurde – wobei im Übrigen eine Entscheidung in der Hauptsache ohnedies noch ausstand. Zudem macht alleine die Bezugnahme auf die NS-Justiz die Äußerung nicht zur Schmähkritik (BVerfG – 1 BvR 2433/17 – aaO, Rn. 19). Vor allem trägt die Begründung des Landgerichts zur Annahme einer Schmähkritik ohne Sachbezug schon deshalb nicht, weil sich die Äußerung ersichtlich alleine auf die dienstliche Tätigkeit des betreffenden Richters in dem den Angeklagten betreffenden Zivilverfahren bezieht und sich sonstigen Angriffen auf dessen Person vollständig enthält. Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte mit dem Schreiben alleine und ohne jeglichen Sachbezug bezweckte, die Person des Richters herabzuwürdigen.
Die rechtsfehlerhafte Annahme einer Schmähkritik hat dazu geführt, dass das Landgericht die ansonsten gebotene Abwägung zwischen dem Ehrschutz der kritisierten Person und der Meinungsfreiheit (dazu Valerius aaO, Rn. 31 ff.) nicht vorgenommen hat. Das Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler.
bb) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei umfassende Feststellungen getroffen, die nicht erwarten lassen, dass in einem neuen Verfahren weitere für die Beurteilung bedeutsame Feststellungen getroffen werden können. Auf dieser Grundlage liegen die Voraussetzungen für die Verurteilung wegen Beleidigung nicht vor, weil die Äußerung des Angeklagten unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) als Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gerechtfertigt ist.
(1) Allgemein ist hierbei zu beachten, dass für die Reichweite des Schutzbereiches der Meinungsfreiheit nicht von Bedeutung ist, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational begründet ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.05.2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18 -, juris Rn. 10; Valerius aaO, Rn. 27 m.w.N.). Auch eine polemische oder verletzende Formulierung kann in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen (BVerfG – 1 BvR 2433/17 – aaO, Rn. 16; – 1 BvR 180/17 – aaO, Rn. 11).
(2) Hier steht das Schreiben in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem sich über Jahre erstreckenden Zivilprozess, der aus Sicht des Angeklagten früh eine für ihn nachteilige Wendung genommen hat, nachdem der zuständige Richter die Prozessfähigkeit des Angeklagten angezweifelt und die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung angeregt hat. Dass dies den Angeklagten gegen den Richter eingenommen hat, ist nachvollziehbar, zumal tatsächlich keine rechtliche Betreuung eingerichtet wurde, was den Angeklagten in seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Richter bestätigt haben muss. Auch ist eine gewisse Frustration aufgrund der ergebnislos erfolgten Ablehnungen des Richters wegen Befangenheit hier in Rechnung zu stellen. Das Verhalten des Richters mag sich aus der Sicht des Angeklagten in das Bild, das er von der Justiz nach der erfolglosen Beschwerde gegen die Einstellung des von ihm angestoßenen Ermittlungsverfahrens gewonnen hat, einfügen. Vor diesem Hintergrund stellt das Schreiben des Angeklagten vom 11.04.2017 als zusammenfassende Kritik an der aus seiner Sicht ungerechten Behandlung durch die Justiz dar. Wie bereits erwähnt, bedarf es hier keiner Feststellung, ob diese Vorwürfe berechtigt oder unberechtigt sind. Stattdessen muss in die Abwägung insbesondere einfließen, dass ein Richter als Repräsentant staatlicher Gewalt im Rahmen seiner Dienstausübung von einem Prozessbeteiligten auch polemische oder überpointierte Kritik an seiner Verfahrensführung hinzunehmen hat (vgl. OLG München, Beschluss vom 31.05.2017 – 5 OLG 13 Ss 81/17 -, juris Rn. 12 m.w.N.). Die Äußerung ist in dem dargestellten Kontext zu sehen und steht deshalb gerade ersichtlich nicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, zumal der Angeklagte seine hier in Rede stehende Äußerung selbst dadurch relativiert hat, dass er sie als subjektiven Eindruck wiedergegeben hat.
Bezüglich des sonstigen Inhalts des Schreibens hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass auch bezüglich des Vorwurfs der Lüge kein strafbares Verhalten vorliegt. Auch insoweit unterfällt die Äußerung bei der Würdigung des vorliegend gegebenen Gesamtzusammenhangs dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. dazu OLG Hamm, Beschluss vom 03.06.2004 – 4 Ss 138/04 -, juris Rn. 17 f.). Die sonst in dem Schreiben aufgeführten Personen haben keinen Strafantrag gestellt, so dass insoweit bereits aus diesem Grunde keine Strafbarkeit wegen Beleidigung in Betracht kommt. Danach war der Angeklagte – dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft folgend – freizusprechen – (§ 354 Abs. 1 StPO).
[…] OLG Karlsruhe Beschluß vom 4.11.2019, 2 Rv 34 Ss 714/19