„Wer sich in einer dreijährigen und dann auf fünf Jahre verlängerten Bewährungszeit nicht bewährt hat, wird dies im Zweifel auch in einer noch längeren Bewährungszeit nicht tun.“ „Die nochmalige – über fünf Jahre hinausgehende – durch Beschluss des Amtsgerichts Biberach vom 19. Juni 2016 gewährte Verlängerung der Bewährungszeit war damit unzulässig.“
Dies hat das OLG Stuttgart in seiner Entscheidung vom 11.12.2017 (3 Ws 85/17) ausgeführt, auf den Vertrauensschutz hingewiesen und letzendlich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den von der Strafvollstreckungskammer am LG Ravensburg gewerten Straferlass als unbegründet verworfen.
In den Entscheidungsgründen fürhrt das OLG u.a. folgendes aus:
[…] Der Verurteilte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Biberach an der Riß vom 12. Dezember 2011, rechtskräftig seit diesem Tag, wegen Computerbetrugs in 13 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Wegen neuer, innerhalb der Bewährungszeit begangener Straftaten wurde diese durch Beschluss des Amtsgerichts Biberach an der Riß vom 17. Dezember 2014 zunächst um ein Jahr und durch Beschluss des Amtsgerichts Biberach an der Riß vom 10. Juli 2015 um ein weiteres Jahr (bis 11. Dezember 2016) verlängert. Mit Urteil des Amtsgerichts Biberach an der Riß vom 24. Februar 2016, rechtskräftig seit 3. März 2016, wurde der Verurteilte wegen Diebstahls (Tatzeit: Juli 2015) zu einer zweimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die ursprünglich gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Biberach an der Riß vom 13. April 2017 wegen Auflagenverstoßes widerrufen. Der Verurteilte hat diese Freiheitsstrafe zwischenzeitlich verbüßt. Aufgrund der dieser Verurteilung zugrundeliegenden, abermals innerhalb der Bewährungszeit begangenen Straftat hat das Amtsgericht Biberach an der Riß die ursprünglich gewährte, bereits zweimal verlängerte Bewährungszeit mit Beschluss vom 19. Juni 2016 schließlich um weitere 18 Monate (bis 11. Juni 2018) verlängert.
Mit Beschluss vom 23. Oktober 2017 hat die zwischenzeitlich zuständige 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ravensburg die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit mit Wirkung zum 11. Dezember 2016 erlassen. Nachdem die ursprüngliche Bewährungszeit drei Jahre betrage, sei eine Verlängerung vorliegend nur bis zur Regelhöchstdauer von fünf Jahren möglich. Die dritte Bewährungszeitverlängerung um 18 Monate sei unzulässig. Ein Widerruf der Strafaussetzung komme aus Gründen des Vertrauensschutzes ebenfalls nicht in Betracht.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft Ravensburg mit sofortiger Beschwerde vom 25. Oktober 2017. Zur Begründung wird angeführt, dass eine über das Höchstmaß hinausgehende Verlängerung der Bewährungszeit auf insgesamt sechseinhalb Jahre zulässig und die Bewährungszeit damit nicht abgelaufen sei.
II.
Die nach § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.Zu Recht hat das Landgericht Ravensburg die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Biberach vom 12. Dezember 2011 mit Wirkung zum 11. Dezember 2016 erlassen.
1. Nach § 56g Abs. 1 Satz 1 StGB ist die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit zu erlassen, wenn das Gericht die Strafaussetzung nicht widerruft. Die Strafe ist auch zu erlassen, wenn eine Verlängerung der Bewährungszeit nicht mehr möglich ist, weil das Höchstmaß nach § 56a Abs. 1, § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB bereits erreicht ist (OLG Celle, StV 1990, 117; Fischer, StGB, 64. Auflage, § 56g Rn. 2).
a. Die Verlängerung der Bewährungszeit bis zu fünf Jahren ist als milderes Mittel gegenüber dem Widerruf ohne weiteres zulässig (Hubrach in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage, § 56f Rn. 34). Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau mit § 56a StGB. Nach dieser Vorschrift ist eine Verlängerung der Bewährungszeit auf fünf Jahre auch ohne Vorliegen eines Widerrufsgrundes möglich. Liegen Widerrufsgründe vor, muss eine Verlängerung auf fünf Jahre zur Abwendung des Strafvollzugs erst recht möglich sein.
b. § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB ermöglicht grundsätzlich auch eine Bewährungszeitverlängerung über die in § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB bestimmte Höchstgrenze von fünf Jahren hinaus. Anderenfalls hätte ein Verurteilter, bei dem die Bewährungszeit von Anfang an auf fünf Jahre festgesetzt wurde, keine Möglichkeit einer Bewährungszeitverlängerung. Die Begrenzungsregelung auf die Hälfte der ursprünglichen Bewährungszeit erhält vielmehr erst durch eine mögliche Höchstmaßüberschreitung einen vernünftigen Sinn (OLG Stuttgart, NStZ 2000, 478; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage, § 56f Rn. 20).
c. Die Frage nach dem Höchstmaß der zulässigen Verlängerung wird hingegen nicht einheitlich beantwortet.
Nach einer Ansicht soll Maßstab das Regelhöchstmaß von fünf Jahren (§ 56a Abs. 1 Satz 2 StGB) sein, das stets um die Hälfte der ursprünglich (also im ersten Bewährungsbeschluss) bestimmten Bewährungszeit verlängert werden darf. Eine ursprüngliche Bewährungszeit von drei Jahren, die auf fünf Jahre verlängert wurde, darf demnach bis zu einer Dauer von sechseinhalb Jahren verlängert werden (OLG Köln, NStZ-RR 2014, 41).
Dieser Auffassung ist der Wortlaut des § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB entgegenzuhalten. Diese Vorschrift knüpft mit den Begriffen „Bewährungszeit“ und „zunächst bestimmten Bewährungszeit“ an die im Einzelfall festgelegte Dauer und nicht an das Regelhöchstmaß an (Hubrach in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage, § 56f Rn. 36; OLG Hamm, NStZ-RR 2000, 346). Vorzugswürdig ist daher die am Wortlaut der Norm ausgerichtete Auslegung von § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB, wonach eine Verlängerung der Bewährungszeit bis fünf Jahre immer, darüber hinaus allerdings nur möglich ist, wenn das eineinhalbfache der ursprünglichen Bewährungszeit fünf Jahre übersteigt. Eine Überschreitung der Höchstgrenze kommt danach nur bei einer ursprünglichen Bewährungszeit von mehr als drei Jahren vier Monaten in Betracht (so auch OLG Stuttgart, aaO; OLG Hamm, aaO; Fischer, aaO, § 56f Rn. 17b; Hubrach in Leipziger Kommentar, aaO, § 56f Rn. 39).
Diese Auslegung – der sich der Senat anschließt – entspricht dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Norm und steht zudem in Einklang mit dem gesetzgeberischen Willen, wonach der Begriff Bewährungszeit sich auf die vom Gericht „bestimmte“ Bewährungszeit bezieht (BT-Drucks. 8/3857, S. 12 und BT-Drucks. 10/4391, S. 17, wonach die Änderung des Absatzes 2 nur der redaktionellen Klarstellung diene). Auch aus praktischen Erwägungen ist diese Auslegung vorzugswürdig, da sie in Fällen mit kurzen Ausgangsbewährungszeiten überlange Bewährungszeiten vermeidet und dadurch eine in Relation zur ursprünglichen Anordnung angemessene Verlängerungsmöglichkeit gewährleistet (Hubrach in Leipziger Kommentar, aaO, Rn. 39; OLG Stuttgart aaO). Wer sich in einer dreijährigen und dann auf fünf Jahre verlängerten Bewährungszeit nicht bewährt hat, wird dies im Zweifel auch in einer noch längeren Bewährungszeit nicht tun. Vor diesem Hintergrund überzeugt auch der Einwand, dass hierdurch Verurteilte mit eher schlechter Prognose und deshalb anfänglich längerer Bewährungszeit weitreichendere Verlängerungsmöglichkeiten haben und damit besser gestellt seien als Verurteilte mit kürzeren Bewährungszeiten, bei denen es wegen der eingeschränkten Verlängerungsmöglichkeiten eher zu einem Widerruf komme (so OLG Köln, aaO; OLG Hamburg, NStZ-RR 1999, 330), nicht. Die Strafaussetzung zur Bewährung stellt keine mit einem eigenständigen Strafübel verbundene selbständige Strafart dar, sondern ist ihrem Wesen nach eine Modifikation der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe (BGH, Urteil vom 24. März 1982 – 3 StR 29/82, BGHSt 31, 25 Rn. 10).
Die nochmalige – über fünf Jahre hinausgehende – durch Beschluss des Amtsgerichts Biberach vom 19. Juni 2016 gewährte Verlängerung der Bewährungszeit war damit unzulässig.
2. Zutreffend hat das Landgericht Ravensburg in dem angefochtenen Beschluss zudem ausgeführt, dass ein Widerruf der Strafaussetzung nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB wegen der dem Urteil des Amtsgerichts Biberach an der Riß vom 24. Februar 2016 zugrundeliegenden, innerhalb der Bewährungszeit begangenen Tat aus Gründen des Vertrauensschutzes ausgeschlossen ist. Auch die zeitweise mangelhafte Zusammenarbeit des Verurteilten mit seinem Bewährungshelfer rechtfertigt angesichts der insoweit positiven Entwicklungen keinen Bewährungswiderruf (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Die Strafe war daher nach § 56g Abs. 1 Satz 1 StGB zu erlassen.
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