Nach § 263 II StGB liegt ein besonders schwerer Fall des Betruges in der Regel dann vor, wenn der Täter den Betrug gewerbsmäßig begeht.
In Anbetracht des gesetzlichen Kontextes, in welchem die Gewerbsmäßigkeit eines Betruges diesen gerade als „in der Regel besonders schwer“ erscheinen lässt erscheint es jedoch zumindest zweifelhaft, die rechtliche Einordnung von Sozialbetrügereien (ALG II; Bafög; etc.) unter dieses Regelbeispiel als mit den gesetzgeberischen Vorstellungen vereinbar anzusehen.
Diese Auffassung vertritt jedenfalls das OLG Dresden in seinem Urteil vom 25.04.2014 (2 OLG 24 Ss 778/13) und hat das Urteil des Landgerichts Chemnitz, das die Angeklagte wegen gewerbsmäßigem Betrugs zu 9 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt hatte, – auch wegen Darlegungsgründen – aufgehoben und zur neuen Verhandlung zurückverwiesen.
Bezüglich der gewerbsmäßigen Begehung führt das OLG u.a. folgendes aus:
[…] Der Fall gibt dem Senat im Hinblick auf die vom Landgericht getroffene Auswahl des anzuwendenden Strafrahmens, wie schon zuvor in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 30. November 2011 indiziert, Veranlassung zu folgendem Bemerken, insbesondere nachstehend lit. d):
Da sich die Angeklagte objektiv durch wiederkehrende Tathandlungen unter Berufung auf das Scheinarbeitsverhältnis (Beantragung von Krankengeld [verjährt], Arbeitslosengeld [verjährt], Arbeitslosenhilfe in Höhe von 8.185,50 €) eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer in einigem Umfang verschafft hat und auch von vornherein verschaffen wollte, könnte das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit durchaus erfüllt sein (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., vor § 52 Rdnr. 62 m.w.N.; Rau/Zschieschack, StV 2004, 669 [672]; Vogel, Anm. zu BayObLG, Beschluss vom 23. November 2004 – 1 StRR 129/04 -, JZ 2005, 308, [310]). Denn gerade in der mehrfachen Tathandlung ist die erhöhte Gefährlichkeit begründet, die den Gesetzgeber zur Schaffung eines erhöhten Strafrahmens bewogen hat; eines „gewerblichen“ Handelns im Sinne der Einrichtung eines Geschäftsbetriebs bedarf es nicht (OLG Stuttgart a.a.O.).Auch war es der Berufungskammer grundsätzlich nicht schon wegen der Verfolgungsverjährung als Verfahrenshindernis untersagt, auch strafbares, wenngleich verjährtes Vortatverhalten festzustellen. Bei den Voraussetzungen des Regelbeispiels „Gewerbsmäßigkeit“ im Sinne des § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB handelt es sich nämlich nicht um sogenannte „doppelrelevante“ Tatsachen (OLG Köln, Beschluss vom 23. Mai 2003 – Ss 202/03 – 108, juris), welche auch für den Straftatbestand Bedeutung hätten (vgl. BGHSt 30, 340 = NJW 1982, 1295; zum Betrug: OLG Köln Beschluss vom 08. Dezember 1998 – Ss 495/98 –).
Die umschriebenen äußeren oder inneren Tatmodalitäten sind nach der Gesetzestechnik lediglich Regelbeispiele für Straferschwerungsgründe (BGHSt 23, 254, [256 f.]; 26, 104, [105]). Wenngleich darin „kein tiefgreifender Wesensunterschied“ zu den selbständigen Qualifikationstatbeständen liegt (BGHSt 26, 167 [173]; vgl. auch BGH, Urteil vom 30. Oktober 1979 – 1 StR 570/79 – bei Holtz MDR 1980, 274), weil sie ebenso einen erhöhten, „in der Regel“ zur Strafrahmenverschiebung führenden Unrechtsgehalt und Schuldgehalt (vgl. BGH MDR 1976, 769) festlegen, handelt es sich dennoch nicht um Tatbestandsmerkmale (BGHSt 29, 359, [368]).c) Schließlich ist es auch grundsätzlich zulässig, festgestelltes strafbares (wenngleich verjährtes) Vortatverhalten strafschärfend zu berücksichtigen. Wenn hierdurch die Merkmale eines Regelbeispiels erfüllt werden, besteht zwar auch eine gesetzliche Vermutung dafür, dass der Fall insgesamt als besonders schwer anzusehen ist (vgl. Fischer, § 46 StGB Rdnr. 91). Wegen der „maßstabbildenden Bedeutung“ (BGHSt 28, 318, [320]) der Regelbeispiele ist aber zur Bestimmung des im Einzelfall tatsächlich maßgeblichen Strafrahmens stets eine Gesamtwürdigung aller für die Strafzumessung wesentlichen Umstände vorzunehmen (BGH StV 1982, 225; Urteil vom 9. Mai 2001 – 3 StR 36/01 – juris; Fischer a.a.O.).
Die indizielle Bedeutung des tatbestandsähnlichen Regelbeispiels kann deshalb vorliegend im Unrechts- und Schuldgehalt dadurch kompensiert werden, dass seine Voraussetzungen erst durch die Heranziehung des strafverfolgungsrechtlich verjährten Vortatverhaltens festgestellt werden konnten. Als Beurteilungsmaßstab ist auf den allgemeinen besonders schweren Fall abzustellen.d) Ein (allgemeiner) besonders schwerer Fall liegt nahe, wenn Erfolgs- und Handlungsunwert besonders groß sind (§ 263 Abs. 3 Satz 1 StGB). Die entsprechenden Regelbeispiele in § 263 Abs. 3 StGB wurden durch das sechste Strafrechtsreformgesetz ergänzend eingeführt (BGBl 1998, Teil I, S. 164 -188), gerade um dem Tatrichter nähere Anhaltspunkte für die Anwendung der Strafzumessungsvorschriften zu geben (BT-Drucks. 13/8587; Seite 42, rechte Spalte).
In Anbetracht dieser „maßstabbildenden Bedeutung“ (vgl. BGHSt 28, 318 ff.) des gesetzlichen Kontextes, in welchem die Gewerbsmäßigkeit eines Betruges diesen gerade als „in der Regel besonders schwer“ erscheinen lässt (nämlich als Bandendelikt, bei Vermögensverlusten großen Ausmaßes, großer Zahl potentieller Betrugsopfer, Verursachung wirtschaftlicher Not, etc.), ist es nach Auffassung des Senats aber bereits zweifelhaft, ob die rechtliche Einordnung von Sozialbetrügereien der vorliegenden Art unter dieses Regelbeispiel überhaupt mit den gesetzgeberischen Vorstellungen vereinbar ist. Denn immerhin setzt die Annahme eines (allgemeinen) besonders schweren Falls nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 29, 319 [322]; 28, 318 [319]; 2, 181; wistra 1987, 257; NStZ 1981, 391; 1982, 246; 1983,407) voraus, dass „das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist“.Jedenfalls kann das verjährte Vortatverhalten nicht zur gleichen Gewichtung jenes Verhaltens führen wie die Anlastung der den Schuldspruch tragenden Tatschuld (vgl. hierzu BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 20; Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung 5. Aufl. 2012, Rdnr. 663). Denn Rechtsgrund für die Strafverfolgungsverjährung ist jedenfalls auch ein durch Zeitablauf geschwundenes Strafbedürfnis (BGH NJW 1985, 1719; Lackner/ Kühl StGB 27. Aufl., § 78 Rdnr. 1).
Dieser Gedanke gilt auch für die Strafzumessung, denn anderenfalls würde das Institut der Verjährung bei Tätern, die erneut straffällig werden, praktisch unterlaufen (BGHR a.a.O.; BGHSt 39, 256 ff.; Schäfer/Sander/van Gemmeren a.a.O., m.w.N.). Die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle könnte deshalb unangemessen erscheinen, ein besonders schwerer Fall trotz Vorliegens eines Regelbeispiels verneint werden und auf den normalen Strafrahmen zurückzugreifen sein (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 20; BGH StV 1989, 432 [433]; BGH NJW 1987, 2450 [2451], Fischer, a.a.O.).
Dies abzuwägen und zu beurteilen ist indes Sache des Tatrichters, wobei vorliegend das Landgericht dies indes bei seiner Abwägung zur Gebotenheit des anzuwendenden Strafrahmens nicht berücksichtigt hat.