Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestands verwirklichung zumindest abfindet.
Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinanderliegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden .
Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen und – weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt –auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz zwar grundsätzlich möglich. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatum-stände des Einzelfalls, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tat-handlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind.
Dies hat der BGH in seiner Entscheidung vom 20.11.2018 (1 StR 560/18) festgestellt und mit der maßgeblichen Begründung, das Urteil des Landgerichts entspräche diesen Anforderungen nicht, das Landgericht habe die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände nicht vorgenommen, sondern zur Bejahung des bedingten Tötungsvorsatzes allein auf die objektive Gefährlichkeit von Messerstichen in sensible Körperregionen abgestellt und sich dabei allgemeiner, formelhafter Wendungen bedient, diesbezüglich das Urteil des Landgerichts München I aufgehoben.
Aus den Entscheidungsgründen:
[…]Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12. Juni 2018 – soweit es ihn betrifft – mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheits-strafe von sechs Jahren verurteilt. Weiter wurden die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB sowie ein Vorwegvollzug von einem Jahr Freiheitsstrafe angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten G. . Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Am 12. Februar 2017 gegen 6.40 Uhr trafen in einer Tabledance-Bar der spätere Geschädigte R. und der Mitangeklagte L. im Durchgang zu den Toiletten aufeinander. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Mitangeklagte L. den Geschädigten schubste. Dies bemerkten der Mitangeklagte E. und der Angeklagte G. . Beide mischten sich auf Seiten des Mitangeklagten L. in dieses Geschehen ein und sie begannen zu dritt, auf den Geschädigten einzuschlagen bzw. zu treten. Der Geschädigte ging hierdurch zunächst zu Boden, konnte aber sogleich wieder aufstehen und sich gegen die körperlichen Übergriffe der drei Angeklagten zur Wehr setzen. Kurz darauf zog der Angeklagte G. auf Grund der heftigen und so von den Angeklagten nicht erwarteten Gegenwehr des Geschädigten ein Messer mit einer Klingenlänge von nicht ausschließbar nur drei Zentimetern. Damit stach er dem Geschädigten unmittelbar und ohne Vorwarnung zweimal in den Bauch und fügte ihm einen Schnitt am Arm zu, wobei diese Verletzung nicht ausschließbar im Zuge einer der Stiche in den Bauch entstand. Der Angeklagte G. rechnete angesichts seiner äußerst gefährlichen Vorgehensweise mit der Möglichkeit, dass der Geschädigte an den zugefügten Verletzungen versterben könnte und nahm dessen Tod jedenfalls billigend in Kauf. Der Geschädigte erlitt auf Grund der Messerstiche eine zwei bis vier Zentimeter lange Schnitt-/Stichwunde im linken Unterbauch mit einer Tiefe von einem Zentimeter sowie eine entsprechende Verletzung im rechten Oberbauch mit einer Tiefe von zwei Zentimetern, wobei es zu Lufteinschlüssen im subkutanen Gewebe kam.
Das Landgericht geht (UA S. 64 f.) davon aus, dass der Angeklagte G. mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, da es allgemein bekannt sei, dass Stiche in den Oberkörper einer Person zu tödlichen Verletzungen führen können. Dies gelte auch für das bei der Tat verwendete Messer mit einer nicht ausschließbaren Klingenlänge von nur drei Zentimetern, da die Klinge nahezu vollständig in den Körper des Geschädigten eindrang. Selbst bei der Verwendung eines Messers mit einer relativ kurzen Klingenlänge seien Stiche in besonders sensible Körperregionen geeignet, die Bauchhöhle zu eröffnen und lebenswichtige Organe zu verletzen oder solche Verletzungen zu verursachen.
II.
Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist begründet. Die Verurteilung des Angeklagten hat insgesamt keinen Bestand.
Der Schuldspruch des versuchten Totschlags hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Feststellungen des Landgerichts tragen nicht die rechtliche Würdigung eines bedingten Tötungsvorsatzes.
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinanderliegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 28. Februar 2013 – 4 StR 357/12, NStZ 2013, 538; vom 28. Januar 2010 – 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145 und vom 20. September 2012 – 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen und – weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt –auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz zwar grundsätzlich möglich. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525 f. und vom 20. September 2012 – 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89).
b) Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil nicht.
Das Landgericht hat die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände nicht vorgenommen, sondern zur Bejahung des bedingten Tötungsvorsatzes allein auf die objektive Gefährlichkeit von Messerstichen in sensible Körperregionen abgestellt und sich dabei allgemeiner, formelhafter Wendungen bedient, ohne weitergehende Feststellungen zur konkreten Angriffsweise des Angeklagten mit der Stichbewegung, zur konkreten Lage der Verletzungen im Bauchbereich sowie zur Größe und zur Konstitution des Geschädigten und des Angeklagten zu treffen. Derartige Feststellungen waren hier angesichts des eingesetzten Messers mit einer Klingenlänge von nur drei Zentimetern sowie der Einlassung des Angeklagten, dem Geschädigten nur einen Denkzettel verpassen zu wollen und ihn zur Aufgabe der Auseinandersetzung zu bewegen (UA S. 25), erforderlich, um bei diesem konkreten Tatgeschehen im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau einen bedingten Tötungsvorsatz – sowohl was das Wissens- als auch das Willenselement betrifft – tragfähig begründen zu können. Dies drängte sich hier umso mehr auf, als nach den Angaben des rechtsmedizinischen Sachverständigen die zwei Stiche nur zu Läsionen des Fettgewebes im Bauchbereich führten, ohne das Bauchfell zu verletzen, und der Geschädigte selbst angibt, seine Verletzungen erst später bemerkt zu haben (UA S. 31).
Der aufgezeigte Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung des an sich rechtsfehlerfreien Schuldspruchs wegen tateinheitlich verwirklichter gefährlicher Körperverletzung.
Die bisher getroffenen Feststellungen sind aufzuheben, um dem neuen Tatrichter insgesamt widerspruchsfreie eigene Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).
[…]BGH, Beschluss vom 20. November 2018, 1 StR 560/18
[…] sokolowskiBedingter Tötungsvorsatz bei MesserstichenBedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt destatbestandlichen Erfolges als möglich […]