…wenn der Betroffene nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden wurde.
Dies gelte selbst dann, wenn die Verwerfung nach § 74 II OWiG im Fall eines in der Hauptverhandlung durch einen Strafverteidiger vertretenen Betroffenen gegen Art. 6 Abs. 3 MRK verstoßen würde. Denn selbst wenn ein solcher Verstoß gegen die MRK vorliege sei der Bußgeldrichter aufgrund des nicht auslegungsfähigen und eindeutigen Wortlauts der Regelung des § 74 II OWiG gem. Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG zu ihrer Anwendung verpflichtet.
Dies hat das OLG Dresden in seiner Entscheidung vom 07.03.2014 ( 23 Ss 56/14 (Z) ) festgestellt und in den Entscheidungsgründen u.a. folgendes ausgeführt:
[…] Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 27. September 2013 beantragte der Betroffene, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wobei er unter anderem erklärte, zur Fahrereigenschaft keine Angaben machen zu wollen und von seinem sich aus Art. 6 Abs. 3 MRK ergebenden Recht, sich allein durch einen Verteidiger vertreten zu lassen, Gebrauch zu machen. Der Antrag wurde durch das Amtsgericht abgelehnt und der Einspruch des Betroffenen durch das Amtsgericht Döbeln mit Urteil vom 01. Oktober 2013 verworfen, weil der Betroffene unentschuldigt nicht zur Hauptverhandlung erschienen sei.
[…] Die Verfahrensrüge der Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit c MRK ist zwar zulässig erhoben, aber ebenfalls unbegründet. Dahingestellt bleiben kann, ob die Anwendung von § 74 Abs. 2 OWiG im Fall eines in der Hauptverhandlung durch einen Rechtsanwalt vertretenen Betroffenen überhaupt gegen Art. 6 Abs. 3 MRK verstößt. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, war das Amtsgericht aufgrund des nicht auslegungsfähigen und eindeutigen Wortlauts der Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG zu ihrer Anwendung verpflichtet (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG).
Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten wurde als völkerrechtlicher Vertrag durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung kommt den Regelungen der
Konvention der Rang einfachen Bundesrechts zu. Die Konvention ist bei der Interpretation des nationalen Rechts im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden. Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln. Aus dem Stellenwert der Europäischen Menschenrechtskonvention als lediglich einfaches Bundesrecht folgt indes, dass die
Verpflichtung deutscher Gerichte zu vorrangiger konventionskonformer Auslegung auf Fälle vorhandener Auslegungs- und Abwägungsspielräume beschränkt ist. Die Zulässigkeit konventionskonformer Auslegung endet aus Gründen der Gesetzesbindung der Gerichte dort, wo der gegenteilige Wille des nationalen Gesetzgebers deutlich erkennbar wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention eröffnet den Gerichten keine Verwerfungskompetenz für eindeutig entgegenstehende Gesetze. Anders als bei deren Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz (Art. 100 Abs. 1 GG) besteht hier auch keine Vorlegungsmöglichkeit. In diesen Fällen ist allein der Gesetzgeber aufgerufen, eine Verletzung der Konvention in Folge Anwendung eindeutiger gesetzlicher Regelung durch deren Abänderung zu beseitigen (so BGHSt 56, 73 ff., m.w.N.).
Die Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall hat zur Folge, dass § 74 Abs. 2 OWiG nicht entgegen seinem eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden kann (vgl. zur Regelung des § 329 Abs. 1 StPO nur: OLG Celle, NStZ 2013, 615; OLG München, Beschluss vom 17. Januar 2013, Az.: 4 StRR (a) 18/12, zitiert nach juris).Eine Vertretung des Betroffenen durch den Verteidiger ist vielmehr nur unter den in § 73 Abs. 3 OWiG genannten Voraussetzungen zulässig, nämlich wenn das Gericht den Betroffenen zuvor von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden hat.
Nachdem diese Voraussetzungen hier nicht gegeben waren, hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen zu Recht gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.