Im Ermittlungsverfahren ist für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft erforderlich. Dies entbindet den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden aber nicht von der Verantwortung, für ein den Anforderungen der EMRK genügendes Verfahren Sorge zu tragen . Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens kann für die Verteidigerbestellung eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht kommen.
Entsprechend hat das Landgericht Limburg in seiner Entscheidung vom 27.11.2012 (5 AR 33/12) dem Beschuldigten auf seinen Antrag hin und ohne Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft einen Pflichtverteidiger beigeordnet.
In den Entscheidungsgründen führt das LG u.a. folgendes aus:
Die Beiordnung der Verteidigerin im Vorverfahrens war auf Antrag des Beschuldigten auszusprechen (§§ 141 IV, III 1 StPO), da in dem gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 I Nr. 1 und II 1 StPO notwendig sein wird.
1. Es ist ersichtlich, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann (§ 140 II 1 StPO). Die Verteidigungsfähigkeit richtet sich nach den geistigen Fähigkeiten, dem Gesundheitszustand und sonstigen Umständen des Falles. Geistige und seelische Gebrechen führen je nach Grad der Behinderung zur Pflicht, einen Verteidiger zu bestellen (vergl. OLG Hamm NJW 2003, 3286 – iuris). Eine Beiordnung ist schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen (vergl. OLG Frankfurt StV 1984, 370 – iuris). Vorliegend ist eine Verteidigungsunfähigkeit aufgrund der Erkenntnisse zur Person des Beschuldigten aus dem Verfahren 4 Js 6194/11 offenkundig. […] […] Die Notwendigkeit eines Verteidigers folgt zudem aus der – zumindest aus Sicht der Staatsanwaltschaft – zu erwartenden Rechtsfolge einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB. Dies begründet die Zuständigkeit des Landgerichts und damit die des Vorsitzenden der hiesigen 5. großen Strafkammer für die Bestellung eines Verteidigers (§ 141 IV StPO).
Die Beiordnung im Ermittlungsverfahren war ohne Antrag der Staatsanwaltschaft auszusprechen.
Mit der überwiegenden Rechtsprechung (vergl. OLG Oldenburg StV 1993, 511; OLG Karlsruhe StV 1998, 123; LG Cottbus StV 2002, 414; a. A. LG Bremen StV 1999, 532 – zitiert jeweils nach iuris; Übersicht zur Rechtsprechung Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 141 Rz. 24) ist im Ermittlungsverfahren – von Sonderregelungen im Recht der Untersuchungshaft abgesehen – grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft für eine Beiordnung erforderlich. Diese Ansicht wird hier geteilt. Die nach § 141 III StPO gebotene Prüfung obliegt in erster Linie der Staatsanwaltschaft. Das Ergebnis, keinen Antrag zu stellen, bindet im Regelfall den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden. Die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft wird zudem überwiegend auch nicht im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG als überprüfbar angesehen (verg. OLG Karlsruhe StV 1998, 123 mit weiteren Nachweisen).
Dies entbindet den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden aber nicht von der Verantwortung, für ein den Anforderungen der EMRK genügendes Verfahren Sorge zu tragen (vergl. Löwe-Rosenberg aaO). Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens kann für die Verteidigerbestellung eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht kommen (vergl. Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 141 Rz. 7; offen gelassen OLG Karlsruhe StV 1998, 123 – iuris). So liegt der Fall hier und führt zur Beiordnung allein auf Antrag des Beschuldigten.
Der Beschuldigte ist aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten krankheitsbedingt unfähig sich zu verteidigen. Ohne Beiordnung entstünde ein Zustand der „Verteidigungslosigkeit“. Das Wahlmandat ist angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage des Beschuldigten, der ein bescheidenes „Einkommen“ aus seiner Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt erzielt, nicht gesichert. Im vorangegangenen Verfahren erfolgte denn auch eine Beiordnung. In dieser Sache ist zwar ein Wahlmandat angezeigt worden. Neben einer sogleich beantragten Beiordnung ist dies mit einem Antrag auf Akteneinsicht verbunden worden. Die beantragte Akteneinsicht sollte so ersichtlich noch vor Bescheidung des Beiordnungsantrags gewährleistet sein. Der derzeitige Stand des Ermittlungsverfahrens gibt auch Anlass für anwaltlichen Beistand. Die Dezernentin der Staatsanwaltschaft hat ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 19.7.2012 gegenüber der Polizeidirektion P. ein Ersuchen erteilt, den Beschuldigten zu vernehmen. Der Beschuldigte ist überfordert, in einer verantwortlichen Vernehmung seine Rechte ohne anwaltlichen Beistand zu wahren. Im Übrigen liegt es im Verfahrensinteresse, strafprozessual verwertbare Vernehmungen durchzuführen (vergl. zur Problematik eines Verwertungsverbots bei zu Unrecht versagter Beiordnung Karlsruher Kommentar aaO Rz. 7 mit Rechtsprechungsübersicht). Die Ladung zu einer Beschuldigtenvernehmung ist auf Anregung der Verteidigerin polizeilich zurück gestellt worden bis zur Entscheidung über die Beiordnung. Dies ist sachgerecht und belegt zudem, dass das Wahlmandat nicht gesichert ist. Das Vernehmungsersuchen der Staatsanwaltschaft besteht fort.
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Quelle: Hessenrecht
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