In dem vom FG Hamburg am 25.5.2020 entschiedenen Verfahren (4 K 102/19) hatte der Prozessbevollmächtigte (versehentlich) anstelle der Klage einen anderen Schriftsatz an das Gericht per beA versandt.
Das Gericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, keine Wiedereinsetzung gewährt und zu seiner Entscheidung folgenden Leitsatz veröffentlicht:
Die Entscheidung im Volltext:
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Kraftfahrzeugsteuer.
Am 29.08.2017 wurde der auf den Kläger in Polen zugelassene PKW VW Sharan mit dem polnischen Kennzeichen XX von der Polizei im X-Weg in Höhe der Hausnummer … am rechten Fahrbahnrand vorgefunden. Das beklagte Hauptzollamt ging von einer widerrechtlichen inländischen Nutzung des Fahrzeugs nach § 1 Abs. 3 Kraftfahrzeugsteuergesetz – KraftStG – aus und setzte mit Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 20.06.2018 gegenüber dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis 27.01.2018 Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von insgesamt … Euro fest.
Den gegen den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 20.06.2018 gerichteten Einspruch des Klägers wies das beklagte Hauptzollamt mit Einspruchsentscheidung vom 14.11.2019 zurück; die Einspruchsentscheidung ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16.11.2019 zugestellt worden.
Am 16.12.2019 – 13.12 Uhr – ist beim Finanzgericht Hamburg über das elektronische Postfach ein Eingang des Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen mit dem Betreff „A ./. Hauptzollamt“, dem als Anlage eine Klage des B gegen die Familienkasse beigefügt war. Über diesen Sachverhalt ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers vom Gericht am Morgen des folgenden Tages – 17.12.2019, 07.45 Uhr – unterrichtet worden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat daraufhin dem Gericht mit Schreiben vom 17.12.2019 – Eingang 11.15 Uhr – mitgeteilt, dass der Vorgang B für das Sächsische Finanzgericht bestimmt gewesen sei. Als Anlage hätte das Finanzgericht Hamburg die Klage nebst Anlagen von Herrn A erhalten sollen. Durch ein Büroversehen seien leider die falschen Anhänge beigefügt worden. Die Klage von Herrn A nebst Anlagen seien diesem Schreiben beigefügt.5
Nachdem das beklagte Hauptzollamt mit Schriftsatz vom 19.12.2019, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Verfügung vom 27.12.2019 zugeleitet worden ist, unter Hinweis auf die Zustellungsurkunde Zweifel an der Einhaltung der Klagefrist geäußert hatte, hat der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 28.01.2020 die Klage näher begründet, ohne sich allerdings zur Wahrung der Klagefrist zu äußern. Erst mit Schriftsatz vom 06.03.2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers, nachdem das beklagte Hauptzollamt mit Schriftsatz vom 11.02.2020 erneut auf die Versäumung der Klagefrist hingewiesen hatte, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und insoweit vorgebracht: Am 16.12.2019 seien fristgerecht per beA ein Schriftsatz und Anlagen an das Gericht zur Sache A übermittelt worden. Durch ein Büroversehen eines sonst sehr zuverlässigen Mitarbeiters seien die falschen Anhänge aus einem anderen Verfahren eines anderen Mandanten beigefügt worden. Auf dieses Versehen sei er – der Prozessbevollmächtigte des Klägers – am 17.12.2019 hingewiesen worden. Noch am 17.12.2019 seien dann per beA die richtigen Dateien mit Schriftsatz und Anlagen sowie dem Hinweis auf das Büroversehen an das Gericht übermittelt worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 20.06.2018 sowie die Einspruchsentscheidung vom 14.11.2019 aufzuheben.
Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es meint, die Klage sei bereits wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakte des beklagten Hauptzollamtes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg; sie ist unzulässig.
Die Klage ist unzulässig. Der Kläger hat die Klagefrist versäumt (hierzu unter 1.). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren, da der Kläger nicht ohne Verschulden verhindert war, die Klagefrist einzuhalten (hierzu unter 2.).
1. Der Kläger hat die Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO, wonach die Frist zur Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat beträgt, versäumt.
Die Einspruchsentscheidung vom 14.11.2019 ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – am 16.11.2019 per Zustellungsurkunde zugestellt worden. Die einmonatige Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO lief folglich – wovon die Beteiligten ebenfalls übereinstimmend ausgehen – am 16.12.2019 ab; innerhalb dieser Frist ist bei Gericht keine Klage des Klägers eingegangen.
Das Gericht übersieht nicht, dass am 16.12.2019 bei Gericht über das elektronische Postfach ein Eingang des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit dem Betreff „A ./. Hauptzollamt“ erfolgt ist. Dieser Eingang kann indes nicht als wirksame und fristwahrende Klageerhebung des Klägers angesehen werden. Denn dieser elektronische Eingang enthielt als Anlage keine Klageschrift in Sachen des Klägers, sondern eine Klage einer dritten Person, die zudem gegen die Familienkasse gerichtet war. Erst am 17.12.2019 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage des Klägers über das elektronische Postfach eingereicht. Am 17.12.2019 war die Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO indes bereits abgelaufen.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dem Kläger nicht gewährt werden. Denn er war nicht ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Frist des § 47 Abs. 1 FGO einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO).
Nach § 56 Abs. 1 FGO ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, wobei jedes Verschulden, also auch einfache Fahrlässigkeit, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt (vgl. nur BFH, Beschluss vom 28.07.2015, II B 150/14). Ein Verschulden eines Bevollmächtigten ist dem Beteiligten nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Bezüglich des Verschuldens sog. Hilfspersonen des Bevollmächtigten – wie z.B. Kanzleiangestellte – gilt, dass deren Verschulden dem Beteiligten dann als eigenes Verschulden zugerechnet wird, wenn der Bevollmächtigte bei der Auswahl, Unterweisung und Beaufsichtigung der Hilfsperson schuldhaft gehandelt hat. Ein sog. Büroversehen begründet nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur dann kein Verschulden, wenn es allein für die Fristversäumung ursächlich war (BFH, Beschluss vom 19.03.1996, VII S 17/95). Hat der Prozessbevollmächtigte nicht alle Vorkehrungen getroffen, die nach vernünftigem Ermessen die Versäumung von Fristen auszuschließen geeignet sind, so hat er das Büroversehen zu vertreten (vgl. BFH, Beschluss vom 09.07.1992, VI R 25/91). Ein Prozessbevollmächtigter ist deshalb verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind. Dazu ist es nicht nur unerlässlich, dass ein Fristenkontrollbuch geführt wird. Zur Organisationspflicht gehört vielmehr auch, eine Ausgangskontrolle zu schaffen, die ausreichende Gewähr dafür bietet, dass fristwahrende Schriftsätze nicht nur tatsächlich gefertigt und abgesandt, sondern auch dem zuständigen Gericht übermittelt werden. Soll ein fristwahrender Schriftsatz elektronisch über das besondere elektronische Anwaltspostfach übermittelt werden, so erfordert eine wirksame Kontrolle Maßnahmen, die hinreichend sicherstellen, dass die richtigen Dokumente dem richtigen (= zuständigen) Gericht übermittelt werden. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung müssen innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmten Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden (vgl. nur BFH, Beschluss vom 13.09.2012, XI R 13/12); sie müssen zudem bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Die vorstehend beschriebenen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist sind im Streitfall nicht erfüllt. Nach dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers kann nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich ein Organisationsverschulden der Kanzlei mitgewirkt hat. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat nicht – geschweige substantiiert – dargelegt und glaubhaft gemacht, wie in der Kanzlei die Ausgangskontrolle der fristwahrenden Schriftsätze organisiert ist, so dass hinreichend sichergestellt ist, dass bei der elektronischen Kommunikation über das besondere elektronische Anwaltspostfach die richtigen Dokumente dem zutreffenden Gericht übermittelt werden. Der schlichte Hinweis, durch ein Büroversehen seien die falschen Anhänge aus einem anderen Verfahren eines anderen Mandanten beigefügt worden (…), genügt nicht.
Unbeschadet der vorstehenden Ausführungen scheidet im Streitfall die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch deshalb aus, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Antrag nicht binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist bereits mit Schriftsatz des beklagten Hauptzollamtes vom 19.12.2019 darüber unterrichtet worden, dass im Streitfall die Klagefrist versäumt sein könnte. Erst mit Schriftsatz vom 06.03.2020 und damit weit außerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO hat der Prozessbevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben. Die Entscheidung ergeht gemäß § 90 Abs. 2 im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung sowie nach § 6 Abs. 1 FGO durch den Einzelrichter.
FG Hamburg 4. Senat, Urteil vom 25.05.2020, 4 K 102/19
[…] Anwalt muss sicherstellen, dass bei Übermittlung per beA die richtigen Dokumente an das r… […]