Der auf Entschädigung nach § 198 GVG gerichtete Leistungsantrag ist unzulässig, wenn er unbeziffert ist und weder der Klageantrag selbst noch die Klagebegründung die ungefähre Größenordnung des geltend gemachten Anspruchs oder zumindest den begehrten Mindestbetrag angibt. Dies hat das Thüringer OVG in seinem Urteil vom 22.01.2014 (2 SO 182/12) festgestellt und zwar festgestellt, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, der Klägerin hierfür aber keinen Entschädigungsbetrag zugesprochen.
In den Entscheidungsgründen hat das Gericht u.a. folgendes ausgeführt:
1. Die allgemeine Leistungsklage […] ist unzulässig. Der Antrag der Klägerin, ihr für die überlange Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht eine angemessene Entschädigung und Schadensersatz zuzuerkennen, scheitert daran, dass er unbeziffert ist und damit nicht dem Grundsatz der Bestimmtheit prozessualer Anträge genügt. Rechtsordnung und Rechtsprechung lassen zwar Ausnahmen von diesem Grundsatz in den Fällen zu, in denen die Unmöglichkeit, den Klageantrag hinreichend genau zu bestimmen, durch außerhalb der Klägersphäre liegende Umstände verursacht wird. Das gilt insbesondere für Fälle der Stufenklage und für Sachen, in denen der Umfang der Leistung im richterlichen Ermessen steht […]. Im letzteren Fall muss kein konkreter Betrag geltend gemacht werden. Das Bestimmtheitsgebot verlangt aber die Angabe wenigstens der ungefähren Größenordnung des begehrten Betrages […]. Das Recht, auf eine genaue Bezifferung zu verzichten, soll den Kläger gerade nicht in die Lage versetzen, das Kostenrisiko ganz oder doch zum größten Teil auszuschalten. Die Möglichkeit, die Höhe des Klagebegehrens in das Ermessen des Gerichts zu stellen, besteht daher nicht unbeschränkt, sondern kann dem Kläger nur einen gewissen Spielraum gewähren. Nichts anderes gilt bei Entschädigungsklagen i. S. v. § 198 Abs. 2 GVG. Zwar besteht hier die Schwierigkeit, dass es dem Kläger in der Regel kaum möglich sein dürfte, hinsichtlich des geltend gemachten immateriellen Schadens einen zutreffenden Betrag zu beziffern […]. Angesichts der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG geregelten Entschädigungspauschale für immaterielle Nachteile ist es aber möglich, wenigstens annähernd die Größenordnung der begehrten Forderung anzugeben. Hieran gemessen fehlt es vorliegend an einem bestimmten und damit zulässigen Leistungsantrag. Die Klägerin hat die Größenordnung ihres Klagebegehrens nicht durch einen Mindestbetrag oder einen ungefähren Betrag gekennzeichnet. Der Umfang des Entschädigungsanspruchs kann auch nicht der Klagebegründung entnommen werden. Die Klägerin hat keinen konkreten oder hinreichend bestimmbaren Verzögerungszeitraum geltend gemacht, auf dessen Grundlage eine Pauschalentschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG berechnet und als (Mindest-)Höhe des Klagebegehrens angenommen werden könnte. Auch soweit sie einen materiellen Schaden verlangt, wäre zumindest die Angabe eines Mindestbetrags zu fordern gewesen.
Ein rechtlicher Hinweis zum Erfordernis eines dem Bestimmtheitsgebot genügenden Leistungsantrags (§ 82 Abs. 1, 2 Satz 1 VwGO) war vor der mündlichen Verhandlung nicht geboten.
[…] Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer der verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG.
Als Möglichkeit der Wiedergutmachung auf andere Weise als einer Entschädigung sieht § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere die Feststellung des Entschädigungsgerichts vor, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, wenn eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist. Nach Auffassung des Senats ermächtigt § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG nach seinem Sinn und Zweck aber auch dann zu dieser Feststellung, wenn der Entschädigungsanspruch – wie hier – aus prozessualen Gründen nicht zu gewähren ist. So ermöglicht § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG eine Feststellung gemäß Satz 1 nach dem Ermessen des Entschädigungsgerichts auch in den Fällen, in denen Entschädigung nicht beansprucht werden kann, weil die Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG zu früh oder gar nicht erhoben wurde oder weil der Entschädigungsanspruch auf Umstände gestützt wird, die gemäß § 198 Abs. 3 Satz 4 GVG präkludiert sind, in denen aus Sicht des Entschädigungsgerichts aber gleichwohl feststeht, dass eine unangemessene Verfahrensverzögerung vorliegt. Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass in diesem Fall eine vollständige Klageabweisung unter Würdigung der Gesamtumstände unbillig erscheinen kann (vgl. BT-Drucks 17/3802 S. 22). Diese Erwägung gilt für die vorliegende Fallkonstellation gleichermaßen.
Die Voraussetzungen für die begehrte Feststellung sind erfüllt. Die Dauer der von der Klägerin in Bezug genommenen Gerichtsverfahren war unangemessen.
aa) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen ist danach das gesamte – hier jeweils abgeschlossene – verwaltungsgerichtliche Verfahren, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung. Erfasst ist mithin die Gesamtdauer der Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und dem Bundesverwaltungsgericht.
Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 11. Juli 2013 – 5 C 27/12 D, 5 C 23/12 D – Juris) nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG. Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das „Gerichtsverfahren“ bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BT-Drucks 17/3802 S. 17). Diese Auslegung ist mit Art. 6 und Art. 13 EMRK vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat, nicht entgegen. Das nationale Recht sieht mit der Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen wirksamen Rechtsbehelf vor, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens. Mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (vgl. EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006, Nr. 75529/01 – Sürmeli, NJW 2006, 2389). Dabei kommt den Konventionsstaaten bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006, Nr. 36813/97 – Scordino, NVwZ 2007, 1259 und vom 29. Mai 2012, Nr. 53126/07 – Taron, NVwZ 2013, 47).
bb) Die Dauer der Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.
(1) Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen i. S. v. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes „insbesondere“ zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BT-Drucks 17/3802 S. 18).
Bei der Beurteilung, ob danach die Verfahrensdauer unangemessen lang ist, kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 11. Juli 2013 – 5 C 27/12 D, 5 C 23/12 D – Juris), der sich der Senat anschließt, nicht auf feste Zeitvorgaben, Orientierungs- oder Anhaltswerte oder statistische Werte über die Verfahrenslaufzeiten in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zurückgegriffen werden.
Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes („Umstände des Einzelfalles“), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt.
Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemeingültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall […]. Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspr icht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen […].
Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren „überlang“ ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich auch einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus.
Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich). Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen.
Gleichfalls verbietet es sich, statistische Erhebungen über Verfahrenslaufzeiten für Verwaltungsstreitverfahren heranzuziehen. Abgesehen davon, dass auch diese Werte im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.
(2) Bei der auf den Einzelfall bezogenen Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 11. Juli 2013 – 5 C 27/12 D, 5 C 23/12 D, Juris m. w. N.) folgende Grundsätze:
Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 I Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind. Dieses Prüfgebot erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist und wird durch diesen weiter konkretisiert.
(a) Der unbestimmte Rechtsbegriff der „unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens“ (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind.
Die Anknüpfung verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in diesen Grund- und Menschenrechten beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus.
Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 – 1 BvR 170/06, Vz 1/12 – NVwZ 2013, 789). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet […].
(b) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.
Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit – genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen. Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege […]. Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht […]. Um den verfahrenrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt […]. Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen […].
Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten – insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fa iren Verfahrens – Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht – auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit -ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen […]. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie – auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums – sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind […].
Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann […]. Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat […]. Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat […]. Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen […].
cc) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer im Verfahren 6 K 618/03 Ge unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles
– insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens, seiner Bedeutung für die Klägerin sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten und der Verfahrensführung des Gerichts – ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.
[…] ee) Der Senat hält einen Feststellungsausspruch für geboten, weil unter Würdigung der Gesamtumstände eine vollständige Klageabweisung unbillig erschiene. Die vermögensrechtlichen Verfahren, die aufgrund der ihnen eigenen Wiedergutmachungsfunktion eine besondere Bedeutung hatten, haben jeweils rund acht Jahre gedauert.
Die dabei dem Verwaltungsgericht zuzurechnende Verfahrensverzögerung betrug jeweils 40 Monate. Diese Verfahrensverzögerungen wiegen umso schwerer, als das Verwaltungsgericht auch bei zunehmender Dauer der Verfahren sich nicht um eine Beschleunigung bemüht hat, insbesondere auch nicht nach der Zurückverweisung der Sachen durch das Bundesverwaltungsgericht im Februar/März 2009. Die Kammer blieb bis zur Ladung zum Termin der mündlichen Verhandlung mit Verfügung vom 12. Januar 2011 untätig. Es wurden bis dahin keinerlei Schritte mit dem Ziel, die Verfahren zu erledigen, unternommen obwohl sie aufgrund der im Ausgangsverfahren vollständig aufgeklärten Sachlage entscheidungsreif waren und sich die Gesamtdauer der Gerichtsverfahren nach Zurückverweisung bereits auf rund fünf Jahre und acht Monate belief.
Der Volltext kann hier auf den Seiten der Thüringer Justiz abgerufen werden.